Überschneidungen und Vermischungen entlang der Wertschöpfungskette auf dem Weg vom Autor zum Leser hat es in der Branche in der Vergangenheit immer gegeben: es gab Verlage mit angeschlossenen Buchhandlungen und umgekehrt, es gab Druckereien mit angeschlossenen Verlagen (und Buchhandlungen) und umgekehrt – exemplarisch und stellvertretend sei hier nur das Unternehmen Pustet mit seiner wechselvollen Geschichte genannt. In den letzten Jahrzehnten aber hat eine starke Diversifikation aus unterschiedlichsten Gründen begonnen, die jedem Marktteilnehmer seinen klar definierten „Platz“ zuwies, auch durch die physische Präsenz am „Point of Sale“, wie man das heutzutage nennt. Auf gut deutsch: der Buchhändler war einfach näher am Kunden als der Verlag. Im Digitalen ist diese Grenzziehung aber sinnlos, der Buchhändler steht hier für den Leser als „Kontakt- und Kauf-Punkt“ gleichberechtigt neben dem Verlag, einen Mausklick weiter sozusagen. Die logische Folge müsste eigentlich eine Wiederholung der Historie wie oben beschrieben im Internet sein – Verlage werden (teilweise) zu Buchhändlern, Buchhändler (teilweise) zu Verlagen.
Allerdings wird zumindest hierzulande das Thema eher vorsichtig diskutiert als schwungvoll angegangen, ganz anders als etwa im anglo-amerikanischen Raum.
Beispielsweise Simon & Schuster mit 250words.com, einem essayistischen Newsletter zu Business-Literatur (der gerade übrigens pausiert) oder Off the Shelf, einer Art Buch-Interessensnewsletter, über den das Good Ereader-Blog etwas blauäugig schreibt: „By highlighting a variety of books instead of just their own catalog of titles, the publisher is taking a rather selfless move in the direction of connecting authors and readers.“
Der Verlag Penguin hat gleich einen Rundum-Service namens Penguin Hotline aus dem Boden gestampft, mit mehr als 300 (vermutbar mehr oder weniger freiwilligen) Mitarbeitern, die sich übrigens auch nicht nur mit Produkten aus dem eigenen (Verlags)Haus befassen: „We know a lot about Penguin books,” [Penguin President Madeline] McIntosh acknowledges, “but we’ll also recommend books from others publisher, too, if that’s the right match for the consumer’s request.” She and her staff have been collecting year-end recommendations from publishers, newspapers and bookstores across the country.“ Ein ähnliches Projekt, allerdings beschränkt auf die Weihnachtszeit und nur mit eigenen Titel und auch nur Online, nicht als echte Hotline, gab es hierzulande übrigens auch schon von Rowohlt.
Hierzulande hat auf der Leipziger Buchmesse Klett-Cotta mit psychologiebuch.de aktuell für etwas mehr Öffentlichkeit und Widerspruch in der Diskussion gesorgt. Übrigens eine Plattform, die für alle Psychologie-Verlage offen ist, möglicherweise ein weiteres Merkmal solcher zukünftigen Plattformen.
Wie zaghaft seitens Verlage (sicher aus begründeter Furcht, den klassischen Vertriebspartner Buchhandel nicht zu erzürnen) hier argumentiert wird, sieht schon schon an Äußerungen wie „Wir können das nicht, was Buchhändler tun. Was sollten von Verlagen betriebene Buchhandlungen überhaupt besser können als die Geschäfte, die es gibt?“. Das mag für das allgemeine Sortiment gelten, sicher nicht generell, sonst stünde dies schon im Widerspruch zur geplanten Psychologie-Plattform.
Tobias Schmid, Leiter eCommerce bei Osiander und einer der Sprecher des AK ECom, sieht das gelassen:
„Es stimmt, dass Verlage und Buchhandlungen oft gemeinsame unternehmerische Wurzeln haben. Gerade der Klett-Cotta Verlag war ja lange Heimstatt der Weise’schen Hofbuchhandlung in Stuttgart (die dann aufgegeben wurde). Und ich sehe auch durchaus den strategischen Nutzen, den Verlage in der kooperativen Gründung und dem gemeinschaftlichen Betrieb von Themenportalen mit angeschlossenem Onlineshop und/oder Showroom sehen. Das ist so schrecklich neu ja auch nicht. Davon gibt’s ja eine ganze Reihe: Tiger Books und der Oetinger-Brand Store im Kinder- und Jugendbuch, die Thieme Buchhandlungen (wurden die stationären nicht alle geschlossen?) mit Thieme und Frohberg im Versand bei der Medizin, Lübbe versucht sich an einer eigenen Buchhandlung und so weiter.
Ich glaube bloß nicht an einen besseren Buchhandel in Verlags-Hand. Denn diese Buchhandlungen sind auch mit dem Verlag oder den Verlagen im Rücken Sortimentsbuchhandlungen, d.h. sie sortieren, setzen sich ihr Thema, in dem sie stark sind, blenden andere Themen aus, suchen also ihre Nische und tun damit das, was jeder Buchhändler macht. Je nach Verlagsgruppe und Portokasse im Rücken werden sie das durchschlagender, besser oder nicht so erfolgreich machen. Dass aber das Kuratieren eines Sortiments durch einen Verlag qualitativ besser sein soll als durch einen Händler, das glaube ich nun nicht. Vielleicht sollten sogar gerade die Schließungen von verlagsgetriebenen Sortimenten in den letzten Jahren den Gründern zu denken geben. Ansonsten aber: so schrecklich revolutionär finde ich die Idee nicht, und Wettbewerb ist immer gut.“
Auch Aljoscha Walser, Geschäftsführer der Narses Beratungsgesellschaft mbH in Bad Vilbel und versierter Kenner der Fachverlags-Szene, moniert, dass einfaches Kopieren und Ersetzen der Besorgungsmodelle nicht ausreicht:
„Überleben wird nur der, der die Endkundenbeziehungen managen kann. Sie zu „haben“ reicht nicht aus. Wenn also Verlage dasselbe machen wie Buchhandlungen, entsteht kein Mehrwert. Sollten sie hingegen ein aktives Leser- und Käufermanagement mit Shop aufbauen, kann das aus meiner Sicht für Fachverlage sehr sinnvoll sein.“
Gewinnen wird am Ende wohl derjenige, der aus Nutzersicht das bessere kuratorische wie kommerzielle Angebot hat. Will heißen: derjenige, der näher an den Inhalten und dem Leser ist und den einfacheren Besorgungsvorgang abbildet. Und es wird auch beileibe nicht DEN Gewinner geben, der mit seiner Lösung alle Bedürfnisse abdeckt. Hier spielen Faktoren wie physische Nähe, aber auch Tiefe des Angebots und Kuratierungsmöglichkeiten eine Rolle. Letzteres soll dem Buchhandel auch gar nicht abgesprochen werden, Belletristik und Kinderbuch (letzteres aber wohl eher aufgrund der Beschäftigtenstruktur des Buchhandels) finden hier einen adäquaten Raum. Je spezifischer aber das Nutzer-Interesse, umso schwieriger wird es logischerweise, der Hobby-Angler wird sich wohl ebenso wie der Steampunk-Freund andere Anlaufstellen suchen (müssen).
Gewinnen wird die richtige, zielgerichtete, nachhaltige Ansprache des Kunden, gestützt durch Software-Prozesse (Stichwort „Customer Relationship Management). Die Branchen-Welt wird dabei schlicht bunter: das klassische Vollsortiment, der spezialisierte Buchhändler, der Zielgruppen-Blogger mit angeschlossenem Shop, der Verlag mit umfassendem Wissen über „seine“ Themen und Autoren werden hier ihren Platz finden.
Das einst lineare Beschaffungs-Modell wird also eher die Form eines Netzwerks annehmen, aus dem sich der Nutzer den jeweils passenden Partner heraussucht. Und das ist keine Fiktion, sondern passiert derzeit an vielen Stellen.
Bildnachweis:
Teaserbild und Großes Bild: Penguin.com
Buchhandlung: Shakespeare & Company / Wikimedia