So ein Blick in die Zukunft ist ja immer so eine Sache: „Wahrscheinlich werden wir erst in zehn Jahren klarer sehen. Erst im Rückblick werden wir begreifen, wie gewaltig der Wandel der Medienwelt ist, den wir gerade erleben und wie grundlegend in diesen Tagen neu definiert wird, wie Menschen in Zukunft Medien konsumieren.“ Das meint jedenfalls Sebastian Matthes, designierter Chefredakteur der deutschen HuffPo. Ein ähnliches Gefühl hatte man auf der diesjährigen Zukunftskonferenz – irgendwann sind wir schlauer, jetzt aber sicher noch nicht.
Zur Erklärung: die Zukunftskonferenz 2013 ist die bereits zweite Veranstaltung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die sich zukünftigen Branchenentwicklungen widmet. Übrigens eine sehr transparente Veranstaltung mit lobenswert umfangreichen Dokumentationen unter http://zukunftskonferenz.org/
Vorgehensweise der Zukunftskonferenz 2013
Die erste Zukunftskonferenz untersuchte die prognostizierte Entwicklung der ganzen Buchbranche bis zum Jahr 2030, die Veranstaltung am 12. und 13.9.2013 hatte dann einen Teilaspekt auf einer kürzeren Zeitschiene zum Thema: „Content und Kanäle: Welchen Weg zum Kunden nimmt das Buch? Analysen und Prognosen für den Buchmarkt 2020“.
Vorgegebene Beschaffungswege (deren Entwicklung in einer Matrix abgebildet werden sollten) waren dabei:
– stationäres Sortiment – Ladengeschäft mit Website ohne Shop
– stationäres Sortiment – online: Webshop eines Sortimenters, der mit dem Ladengeschäft assoziiert wird, z.B. Osiander.de, thalia.de, weltbild.de
– Online-Buchhandel: reine Versandbuchhandlungen mit Endkundengeschäft, ebooks.de
– Sonstiger Online-Fachhandel: z.B. Amazon, Apple
– Online-Plattformen und Online-Portale: Online-Angebote für den Endkunden, die Funktionalitäten und Inhalte über eine Kauffunktion hinaus bieten sowie Fach- und Themenportale, z.B. TUBUK, e-learning-Portale
– Direktverkauf Verlage: zum Endkunden
– Bibliotheken/Leihmodelle: zum Endkunden; z.B. Skoobe
– Sonstige Verkaufsstellen: Verbrauchermärkte, Fachhandel, Warenhäuser
– Weitere, z.B. illegale Downloads, legales Sharing, Bücher an Freunde leihen
Die Arbeitsgruppen teilten sich dem Muster der buchhändlerischen Warengruppen folgend auf:
– Belletristik
– Sachbuch
– Ratgeber
– Reise
– Kinder- und Jugendbuch
– Fachbuch/Wissenschaft
– Schulbuch/Ausbildung und Fortbildung
Zugrundeliegende Fragestellungen waren:
– Welche Kundenbedürfnisse werden 2013/2020 durch welchen Beschaffungsweg befriedigt?
– Auf welchen Wegen gelangt der Content 2013 und 2020 zum Kunden?
– Welche Maßnahmen müssen aufgrund der von 2013 zu 2020 prognostizierten Veränderungen ergriffen werden?
Arbeitsergebnisse der Zukunftskonferenz 2013
Wie immer bei solchen Veranstaltungen gab es viel Detailkritik, aber auch (berechtigtes) Lob für die Veranstalter. Das grosse Ganze sollte aber ein Blick auf die Vertriebswege im Jahr 2013 resp. 2020 sein auf der Basis heute bekannter Produkte. Letzteres führte naturgemäß, um überhaupt zu Ergebnissen zu kommen, zu einer Produkt-Beschränkung auf das gedruckte Buch und das E-Book.
Der kurze Zeitraum von sieben Jahren und die Produkteingrenzung führte aber zuerst zu Diskussionen zwischen den „Bewahrern“ (soviel wird sich in sieben Jahren nun auch nicht verändern) und den „Disruptoren“ (die Dynamik wird eher zunehmen). Wie aber Vertriebsdiskussionen führen, wenn die Produkte in sieben Jahren vielleicht ganz anders aussehen – auch die digitalen Produkte, die wir heute anbieten, werden 2020 schon ganz andere sein.
Ähnliche Diskussionsfronten gab es bei der versuchten Eingrenzung des zukünftigen Kunden/Lesers. So wurde zwar zum Auftakt eine Mini-Lesung aus den Texten des Vorzeige-Digital Natives Philipp Riederle gehalten, bald aber der typische aktuelle Buchhandelskunde (weiblich, über 40) in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt.
Zudem zeigte sich, dass unter dem Detailblick der Vertriebswege auch die Eingrenzung (und Aufteilung der Diskussionsgruppen) auf Warengruppenebene, die ja bei der ersten Zukunftskonferenz noch sehr gut funktionierte, hier an ihre Grenze stieß. Im Detail sind selbst innerhalb der Warengruppen aufgrund der sub-thematischen Ausrichtung, der Produkte und der Unternehmensgrössen die Unterschiede schlicht zu gross für verbindliche einheitliche Aussagen.
Aber wenn schon Dynamikeinschätzung, Produktdefinitionen und eigene Profile so weit auseinanderliegen kann es nur zu oberflächlichen, teils schwammigen Konsens-Ergebnissen kommen. Diese mögen für einige durchaus auch bereichernd gewesen sein, viele aber empfanden sie eher auf der Ebene des Wiederkäuens bekannter Diskussionen.
Sehr vereinfacht waren die Ergebnisse zusammenfassend also keine Überraschung:
– Das Beschaffungsgeschäft, der Zielkauf (Bedürfnis Effizienz, Bequemlichkeit & Tempo) verlagert sich mehr oder weniger komplett in das Internet, wobei der Direktvertrieb über Verlage aus Datengenerierungsgründen sinnvoll aber kaum wirtschaftlich relevant sein wird
– Das Sortiment punktet (oder sollte punkten) durch Zielgruppenkenntnis, Selbstpositionierung als Marke (Bedürfnis Stimulanz, Entdeckerfreude & Inspiration). Wobei Konsens war, dass Fillialisten durch Flächenschrumpfung die Hauptverlierer sein werden und eher „mittelständische“ Ketten das Rennen machen.
– Der Kunde, das unbekannte Wesen. Unisono wurde mehr Zielgruppenkenntnis eingefordert (einige Arbeitsgruppen definierten deswegen Personae zur besseren Orientierung). Dies kann aber, wenn Offline wie Online bespielt wird, nur mithilfe eines CRM-Systems abgebildet werden, und die sind selbst in Verlagen, noch weniger aber im Sortiment vorhanden oder sinnvoll eingesetzt. De facto können vielerorst nicht einmal für den heutigen Tag klar die Kundenbedürfnisse beschrieben werden – wie soll das für das Jahr 2020 funktionieren?
Die Ergebnisse pro Warengruppe lassen sich hier detailliert einsehen.
Buchpreisbindung
Ein Detail, wenn auch ein bezeichnendes, war die Diskussion um die Buchpreisbindung, eines der wenigen derzeit stabilen Elemente im Marktgeschehen. Viele Konferenzteilnehmer hatten starke Zweifel, dass diese im Jahr 2020 noch existieren würde. Einbezogen wurde diese Vermutung aber in keines der Ergebnisse – dabei würde sich der Markt durch deren Wegfall dramatisch verändern. Vielleicht wäre dies auch ein spannender Ansatz für eine Zukunftskonferenz.
Persönliche Anmerkung
Bei solchen Veranstaltungen muss man in der Kritik insofern auch immer fair bleiben, als bei einer derartig heterogen (in der Spartenzusammensetzung, in der Informationstiefe aber auch Verwurzelung in alten Denkschemata) zusammengesetzten Teilnehmergruppe schwerlich umfassende Zufriedenheit zu erzielen ist. Aber für die nächste Zukunftskonferenz wären inhaltlich klarere, prägnantere, spannendere, provozierendere Ergebnisse sicher wünschenswert, um die Konferenz vor der Beliebigkeit zu bewahren.
Google
Danke für den tollen Artikel. Ich bin jetzt schon gespannt, wie wir unsere Zeit jetzt in 10 Jahren erleben werden.
LG
Boris