„315 Millionen Dollar gehen jährlich flöten“ – ungewöhnlich flapsig betitelte letzte Woche das Börsenblatt einen Bericht zu einer Studie über E-22Book-Piraterie des Marktforschungsunternehmens Nielsen über den amerikanischen Markt. Nun ist das mit Studien immer so eine Sache, zumal, wenn der Auftraggeber ein Dienstleister für Kopierschutzverfahren, Digimarcs, ist.
Die Studie mit dem Namen „Inside the Mind of a Book Pirate“ möchte beleuchten, wer eigentlich diese illegalen „Buchpiraten“ sind, aus welchen Gründen sie dies tun: „The objectives for this study are to understand who is downloading illicit material, how and where they are doing it, and what this might represent to the industry in terms of lost sales by measuring survey data against our Books and Consumers data.“ An sich auch ein hehres Unterfangen, möglicherweise lassen sich ja Gründe identifizieren – und beheben. Und auch wenn sich einige methodische Fragen stellen ist das Ergebnis interessant – viel interessanter ist aber die unterschiedliche Interpretation der Branchenbeteiligten. Zwischen Jammern, Wehklagen, Juristen beschäftigen und Ursachen beseitigen ist eben doch viel Raum.
Soziodemografie der Piraten: Keine Überraschungen
Piraten sind nicht jung und schauen ansonsten Unterschichtenfernsehen, wenn sie nicht gerade illegal etwas herunterladen. Im Gegenteil, sie haben einen relativ hohen Ausbildungsstand, ein relativ hohes Einkommen und sind alles andere als jung. Dies dürfte an sich aber auch kein überraschendes Ergebnis sein, da illegaler Download auch an eine gewisse Erfahrung mit dem Internet gekoppelt ist, die mit zunehmendem Alter der Probanden eben abnimmt.
Woher beziehen Piraten ihre Schätze? Oft von Freunden
„On average downloaders use 1.5 methods to acquire e-books illegally“. Eigentlich könnten diese Methoden ja egal sein, illegal ist illegal. Schaut man genauer hin, wird es dann eben doch interessant:
„Amongst illegal e-book downloaders, the percent using these methods are:
Downloaded from cyberlockers / torrent sites: 51%
Obtained from friends: 45%
Acquired from online auction/resale sites: 27%“
51% beziehen die illegale Ware über verschiedene Kanäle von Freunden. Würde man hier sinnvolle Modelle zur Weitergabe erworbener E-Books finden hätten sich vermutlich ein Drittel der Piraten gar nicht zu der Garstigkeit entschieden. Zumal der hohe Prozentsatz von Freunden als Quelle darauf hinweist, dass persönliche Empfehlung (Recommendation) eine große Rolle spielt.
Piraten sind bequem
Eines der wichtigsten Elemente in heutigen Zeiten auf dem Weg zum gesuchten digitalen Gut ist die Zeit, die zum Auffinden desselben aufgewandt wird. Hier schneiden Retailer und Bibliotheken am schlechtesten ab laut der Studie, Downloadplattformen sind doppelt so „schnell“, aber am effektivsten sind wieder die eigenen Freunde, das eigene Umfeld. Hier spielt sicher auch das Thema „Empfehlung“ (siehe auch oben) mit hinein.
Am interessantesten sind natürlich die Gründe für Piraterie. Und, quelle surprise, an erster Stelle steht Bequemlichkeit („Convenient / easy“) mit 58% noch vor dem vermeintlichen Hauptgrund, nämlich dem kostenlosen Raubgut (51%). Auch die Verfügbarkeit an sich spielt mit 38% eine große Rolle („e-Book/s are not available from online retailers“). Totalverweigerer, die prinzipiell kein Geld für E-Books ausgeben wollen („I do not think I should have to pay for content“), sind die Minderheit mit 17%. Und immerhin, wenn ein E-Book nicht auf den einschlägigen Plattformen verfügbar wäre („Alternative Methods for Downloading e-Books if Unavailable“), würden 33% ein E-Book auch kaufen. Auch die Urheber der Studie selbst kommen zu diesem Ergebnis: „While the majority of illegal downloaders said that if they had not been able to find an e-book using their preferred illegal method, they would have found it illegally elsewhere, there was still a sizeable portion who said that they would have purchased the e-book legally.“
Piraten lesen auch nicht anders als der Rest
Welche Inhalte werden illegal heruntergeladen? Hier gibt es eigentlich keine echten Überraschungen, die Genres sind in absteigender Reihenfolge Belletristik, Fachliteratur, Wissenschaftliche Titel, gefolgt von Kinderbüchern. Im Wesentlich also dieselben Präferenzen wie Käufer von E-Books.
Handlungsanweisungen – ohne echte Überraschungen
Ein auch für beide Seiten wirtschaftliches und leicht nutzbares Modell der Weitergabe an Verwandte und Freunde finden
Verlagsprodukte leichter auffindbar machen (SEO, ASO, soziale Netzwerke etc)
Gute Recommondation-Systeme aufbauen
Die eigenen Titel generell digital verfügbar machen (oder sich eben nicht beschweren, wenn es andere tun)
Den Zugang zu E-Books so einfach, schnell und bequem wie möglich machen
Ganz grundsätzlich bleibt bei all diesen Untersuchungen zum Thema E-Book-Piraterie eine Frage immer unbeantwortet: hat man durch den illegalen Download (und am Fakt der Illegalität gibt es keinerlei Zweifel) wirklich zu einem effektiven Umsatzverlust erlitten? Dieser ist ja nur gegeben, wenn diese Nutzer ansonsten das E-Book gekauft hätten. Auch die Studie selbst meldet Zweifel an: „An illegal e-book download is not always directly equivalent to the loss of a legal e-book purchase“. Die genannte Summe von 315 Millionen Dollar basiert auf sehr vielen Annahmen und Variablen und kann eher als lässliche Marketing-Sünde gesehen werden.
Die ausführliche Analyse der Studie „Inside the Mind of a Book Pirate“, sowie weitere Studienanalysen zum europäischen Buchmarkt und zum Thema „Wie finden Leser eigentlich ihre Bücher?“ ist nachzulesen in der Ausgabe 6/2017 des „digital publishing report“, der kostenlos hier herunterladbar ist:
http://www.digitalpublishingreport.de/dpr_Heft6_2017.pdf
Teaserbild: Gareth Jones (CC BY-NC-ND 2.0)