An dieser Stelle und unter dem Label “Digitale Wochenschau” erscheinen zukünftig Kuriositäten, Trends und Entwicklungen aus dem digitalen Alltag eines Verlagsmenschen.
Die “Digitale Wochenschau” ist Bestandteil des “digital publishing report”, der alle 14 Tage kostenlos erscheint und unter www.digital-publishing-report.de ebenso kostenlos bezogen werden kann.
Lesen an der Wand mit Dirror
Technologische Innivation kennt man ja so: in USA erdacht, in China zusammengelötet. Insofern ist der digitale Spiegel „Dirror“ schon allein deswgen eine Besonderheit: er ist ein deutsches Produkt. „Das Produkt wird in Deutschland gefertigt…DIRROR ist der weltweit erste marktfähige digitale Spiegel. Mit Hilfe eines riesigen FULL HD Multi-Touch-Displays, einer speziellen Spiegelbeschichtung sowie der neuesten Sprachsteuerung, lässt sich DIRROR auf einzigartige Art und Weise bedienen und ermöglicht so das Internet und alle digitalen Anwendungen in einer völlig neuen Art und Weise zu erleben.“ Netflix, Nachrichten, Facebook – nun kann man sich streiten, wer so etwas im Stehen konsumiert, andererseits gab es schon vor Jahren spannende Konzept-Studien über einen Badezimmerspiegel, Zähneputzen und kurz mal News checken gibt ja schon eher Sinn. Vor allem aber ist Dirror der lebende Beweis dafür, dass die Zahl der digitalen „Touchpoints“, an denen der Nutzer zum Beispiel mit Inhalten in Berührung kommt, permanent zunehmen und immer diverser werden. Mehr unter www.dirror.com
Publishing Startups auf der Futurebook Conference
Die Futurebook Conference in London, dieses Jahr am 2.12. stattfindend, organisiert von „The Bookseller“, ist inzwischen nicht nur eine der größten, sondern auch spannendsten Veranstaltungen für die Branche, leider gerne von ansonsten reisefreudigen Branchenkollegen, die schon im Reisebüro anrufen, wenn irgend jemand „Silicon Valley“ ruft, leidlich übersehen. Unbedingt in den Terminkalender eintragen!
Dieses Jahr findet auch wieder der Startup Pitch statt, und zwar mit StoryTourist, Publishizer, Kadaxis, Joosr und Novel Effect, die sich vor Ort präsentieren.
StoryTourist (bit.ly/StoryTourist) bezeichnet sich selbst als „Pokémon Go for stories“ und verbindet Geschichten mit physischen Räumen mit einer „app that allows readers to experience books at the very locations where the action takes place. Books and other stories become treasure hunts in the city, the forest, or wherever the storyline leads, allowing readers to explore their favorite story destinations, read stories on location, and find out what your favorite literary places look, taste, sound and smell like.“ Wer so etwas abwegig findet, sollte sich einmal Gedanken darüber machen, dass Google Play Music seit einigen Tagen jetzt Lieder vorschlägt und spielt abhängig vom Ort und dem, was man gerade macht. Stan Schroeder, Analyst bei Mashable, meint dazu ganz folgerichtig: „Google’s competitors such as Spotify and Apple Music also offer a music discovery feature, but Google’s trove of data on user habits promises more precision when it comes to matching your mood, location and activity“. (bit.ly/gpm_local)
Publishizer (bit.ly/Publishizer) bringt auf einer Plattform Autoren und Verlage zusammen: „It’s like Kickstarter meets Tinder, for publishing“. Immerhin hat man schon einige Erfolge vorzuweisen, aber auch mit den Problemen vieler Startups zu kämpfen: „The chicken-and-egg dilemma. As a platform, we need readers to attract authors, and authors to attract readers. We also need authors to attract publishers, and publishers to attract authors. Building a three-sided marketplace is a seriously big challenge“. Da können andere auch ein Lied von singen.
Kadaxis (bit.ly/Kadaxis), dessen CEO Chris Sim in der letzten Ausgabe des digital publishing report als Gastautor mit dem Thema „Maschinelles Lernen und Vorhersage
von Bestsellern“ aktiv war, kümmert sich um das Thema „Sichtbarkeit“ und nutzt Datenanalysen „to improve book discovery across the publishing value chain, for authors (at AuthorCheckpoint with metadata and marketing tools), publishers (with metadata optimisation and data APIs) and readers (at experimental book discovery site BookDiscovery).“
Joosr (bit.ly/Joosr_futurebook) ist eine App, die 20minütige Zusammenfassungen von Büchern aus den Bereichen „leadership, entrepreneurship, health, parenting and much more“. Blinkist lässt schön grüßen.
Interessant auch die Antwort nach der größten Herausforderung: „Saying no. „There are so many exciting things we can do with our proposition, but they cannot all be done at once,“ the pair admit. „As a result we have to prioritise and defer some opportunities until later. This is common for an early stage company working with limited resources.“ An solchen Punkten weise ich ja immer gern auf das MVP-Prinzip (minimum viable product) hin.
Novel Effect (bit.ly/noveleffect) ist eine App, die selbst vorgelesene Geschichten mit multimedialen Elementen wie Ton, Licht etc. verbindet und zwar immer passend zum Stand des Vorlesens. Unbedingt das beeindruckende Promo-Video anschauen.
Wer also dieses Jahr auf der Futurebook Conference weilt, sollte sich diese Startups unbedingt einmal näher anschauen.
Virtual Reality und Schulbuch
Virtual Reality-Applikation für den Biologieunterricht – made by Cornelsen und Samsung. Kooperationen zwischen Technologieunternehmen und Verlagen sieht man ja nicht so häufig, hier haben sich aber gleich zwei Große in ihren Branchen gefunden, um ein Experiment der besonderen Art zu wagen: Das „Konzept für den Biologieunterricht erlaubt es, mit Hilfe von Tablets, Smartphones und VR-Brillen auf Entdeckungstour durch den menschlichen Körper zu gehen. Dadurch wird es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, aus einer 360-Grad-Perspektive hautnah zu beobachten, wie Nährstoffe durch das Verdauungssystem transportiert und durch Enzyme in ihre Grundbausteine zerlegt werden. Die spannende, höchst anschauliche Wissensvermittlung stärkt nicht nur das Verständnis für die komplexen biochemischen Prozesse, sondern steigert auch die Lernmotivation und die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler im Umgang mit neuesten digitalen Technologien.“ So Cornelsen in einer ersten Mitteilung.
Nun haben digitale Leuchttürme in der Verlagswelt leider immer begrenzte Haltbarkeit, aber man will in Berlin wohl längerfristig am Ball bleiben: „Da der aktuelle Prototyp Lehrenden die Möglichkeit bietet, analoge und digitale Unterrichtsmethoden zu verknüpfen, um Schülerinnen und Schülern neue Lernanreize zu bieten, ist vorgesehen, das neue VR-Konzept zukünftig auch für andere Unterrichtsfächer und Lerninhalte zu adaptieren“. Klingt spannend, ist spannend und sollte man im Auge behalten.
Äpfel und Birnen – und doch treffend: Zeitungen und Facebook
Seit einigen Tagen kursiert eine Grafik durch das Web (wie es sich gehört ohne Quellenangabe), die den Anzeigenumsatz amerikanischer Zeitungen dem Umsatz von Facebook (und Google) gegenüberstellt, meist mit mit einem launigen „Last year Facebook made more money than the total US newspaper advertising revenue“-Text versehen. Bei aller Skepsis ist aber ein Zusammenhang einfach nicht mehr von der Hand zu weisen. Die ersten Anzeigenumsätze wanderten zwar nicht zu Google, sondern eher zu den Kleinanzeigenbörsen wie CraigsList oder eBay – an der Abwanderungstendenz ändert das aber nichts. Und selbst die Digitalumsätze konnten dies nicht aufhalten ebenso wie keine Änderung in Sicht ist. Leider sagt sich „Kleinere Brötchen backen“ oder „andere Geschäftsfelder suchen“ leichter als es getan ist. Dumm gelaufen.
International VAT for books and ebooks
Eine sehr schöne globale Übersicht über die Mehrwertsteuersätze von gedruckten Büchern und E-Books hat die International Publishers Association (IPA) gemacht: „World view of VAT on books, 2016“, als PDF hier herunterladbar: http://bit.ly/VATbook
„Quit Social Media. Your Career May Depend on It.“
Eigentlich wird eine starke (und sinnvolle) Präsenz in den sozialen Netzwerken als eher karrierebefördernd angesehen. Das sieht der Informatik-Professor Cal Newport, der nie einen Account auf Facebook oder Twitter besessen hatte, komplett anders und tut dies auch in der New York Times kund: „In a capitalist economy, the market rewards things that are rare and valuable. Social media use is decidedly not rare or valuable. Any 16-year-old with a smartphone can invent a hashtag or repost a viral article. The idea that if you engage in enough of this low-value activity, it will somehow add up to something of high value in your career is the same dubious alchemy that forms the core of most snake oil and flimflam in business.“
Alexander Becker, Redaktionsleiter von MEEDIA.de, ist sichtlich konsterniert: „Sein Karriere-Ratschlag hat der Wissenschaftler Steve Martin entliehen: „Sei einfach so gut, dass sie Dich nicht ignorieren können“. Oder anders: Qualität setzt sich immer durch und wird irgendwann als solche auch wahrgenommen. Man muss nur hart genug arbeiten – aber nicht unbedingt bei Facebook und Twitter.
Mit diesem Aussagen argumentiert Newport gegen die landläufige Meinung, dass man heutzutage in seiner Branche und dem dazugehörigen Job-Markt nur sichtbar ist, wenn man begeistert und sicher durch das Social-Web navigiert. Immerhin verspricht eine aktive Nutzung ein besseres und größeres Netzwerk und ein Plus an Ego-Marketing.“
Die protestantische Arbeitsethik von Cal Newport in allen Ehren („Arbeite fleissig, dann wirst du schon weiterkommen“), scheint aber doch abseits aller Unternehmenserfahrung, die einem sagt, dass Lautstärke kombiniert mit Nichts-Tun (und damit keine Fehler machen) vorsichtig formuliert oft auch kein Arbeitshindernis ist. „If you’re serious about making an impact in the world, power down your smartphone, close your browser tabs, roll up your sleeves and get to work.“ Das kann nur jemand schreiben, der tatsächlich keine Accounts in den sozialen Netzwerken hat, diese aber meint, kompetent beurteilen zu können.
Andererseits: wer mal nach Verlegern auf Xing oder Linkedin sucht wird durchaus einige Anhänger der Newport-Theorie finden. Bzw. nicht finden.
Die Einhörner kommen!
Zuerst Ritter Sport mit seiner Sonderedition „Einhorn“, jetzt Balea mit einem „Einhorn Duschgel“. Spinnen jetzt alle? Beileibe nicht, tatsächlich sitzen in beiden Unternehmen Marketing-Profis, die genau wissen, wie man soziale Medien perfekt bespielt. Man nehme etwas mit Fan- und Niedlichkeitsfaktor (besagtes Einhorn), kombiniere das noch mit begrenzter Verfügbarkeit (Balea schreibt auf Facebook denn auch gleich: „Achtung: Einhörner sind rar, nur sehr limitiert verfügbar.“), streue das Ganze und die Viralität und auch die Kommunikation der Nutzer untereinander inklusive massenhaftem Sharing ist so gut wie garantiert. Wie jedes Werkzeug nutzt sich natürlich auch dieses ab, aber die grundlegenden Mechanismen sind immer diesselben. Und die Reichweite ist am Ende billiger „eingekauft“ als mit konventionellen Marketingmethoden. Vielleicht sollten Verlage einmal darüber nachdenken, ob sie selbst „Einhörner“ im Keller haben?
#schachtelglück und Influencer-Marketing
Bleiben wir doch gleich bei der Drogiermarktkette „dm“. Die betreibt inzwischen recht erfolgreich Influencer-Marketing, wie die Werberpostille W&V anerkennend feststellt: „Die Drogeriekette dm lockt mit Influencer-Marketing in ihre Filialen und in den Webshop. Für die Kampagne #Schachtelglück haben bekannte Internet-Stars ihre dm-Lieblingsprodukte verpackt. Seit dem 23. November kann man die limitierten Boxen zum Preis von 5 Euro erwerben. Online waren die ersten bereits nach einer Stunde ausverkauft. Für die nötige Sogkraft sorgen die Youtube- und Blogger-Stars Dagi Bee, Sophia Thiel, Diana zur Löwen, Paola Maria und Julia Beautx. Sie haben aus dem dm-Sortiment Produkte ausgewählt und präsentieren diese zusammen mit Grußbotschaften an ihre Fans in individuell gestalteten Schachteln. Unter dem Hashtag #Schachtelglück werben sie für die Aktion im Netz.“
Hier fließt natürlich einiges an Geld und insofern ist diese Aktion auch nicht mehr als „Bierwerbung mit Jürgen Klopp 2.0“. Aber auch manchem Verlag sind solche Deals und die Beuaftragung von Blogger-Agenturen nicht fremd.
Nachhaltiger erscheint da schon der organische Aufbau von Blogger-Relations. Dies bedeutet zwar, einem Multiplikator oder Testimonial mehr Freiheit im Umgang mit den eigenen Büchern zu geben. Aber dafür bekommt man auch ehrliche, authentische Kommunikation, was am Ende des Tages auch der Kunde zu schätzen weiß.
Online-Kauf von Autos im Kommen – meint Mercedes-Benz
Und wenn wir schon die Branche verlassen haben: werfen wir doch einen Blick auf die Automobilbranche und deren sich verändernde Vertriebsstrukturen. So berichtet der „kfz betrieb“, ein Medium von Vogel Business Media: „Daimler rechnet damit, dass der Anteil an Kunden, die den Autokauf komplett online abwickeln wollen, in den nächsten Jahren stark zunehmen wird. „Gerade in Deutschland kaufen bislang noch nicht viele Leute online ein Auto, aber das wird kommen“, gibt sich Daimlers Vertriebsvorstand Ola Källenius…überzeugt. Der Hersteller werde deshalb den eigenen Online-Vertrieb weiter forcieren, „aber wir werden das nicht vorbei an unseren Händlern machen“, so Källenius.“ Und weiter: „Die persönliche Ansprache unserer Kunden im Autohaus bleibt wichtig, aber die digitale Ansprache hat mittlerweile denselben Stellenwert“. Das erinnert dann doch stark an das Agieren der Vertriebsabteilungen vieler Verlagshäuser. Und ist naheliegend, viele Veränderungen durch die Digitalisierung werden nicht umsonst als „grundlegend“, also branchenübergreifend bezeichnet. Man schaue sich beispielsweise die derzeitige Situation in der Kosmetik-Branche an, die mehr als frappierende Ähnlichkeiten mit der Buchbranche hat, was Einkaufs- und Informationsverhalten der Käufer(innen) angeht, aber auch die stark in Mitleidenschaft gezogenen tradierten Distributionsstrukturen.