„The largest digital publishing conference in Europe“, also keineswegs kleinmütig tituliert sich die Futurebook, die nun schon zum fünften Mal am 4.12.2015 in London stattfand. Veranstalter ist Bookseller, „at the heart of publishing since 1858“, ein Branchenmagazin mit Geschichte, das heute mit Webinaren, einer opulenten Newssite und eben Veranstaltungen wie der Futurebook medial reichlich diversifiziert. Und hinter der Futurebook steht auch kein kleinmütiger Ansatz: „FutureBook brings together leading thinkers in publishing, retail, editorial, writing, marketing and tech, along with speakers from other industries.“
Insofern ist es einmal inhaltlich spannend zu sehen, womit sich die angelsächsische Verlagswelt so beschäftigt, andererseits dürfte auch die Struktur der Veranstaltung selbst vielleicht Neues zeigen.
Inhaltlich das Auffälligste: das völlige Fehlen der hierzulande ach so vertrauten Kulturgut-, Vorsicht-Buch- oder Papier-wirkt-Diskussion. Selbst wenn ein gestandener Verleger wie Stephen Page in seiner Keynote ein klares Statement für „local shops“ abgibt, nennt er gute Gründe aus Lesersicht abseits jeder Bibliophil-Romantik. Mit der würde das meist junge bis mittelalte Publikum, das sich im Londoner Mermaid Theatre versammelt hat, wohl auch wenig anfangen. Die einzelnen Panels, teilweise im 10 Minuten-Takt, teilten sich im Schwerpunkt auf „Strategie und Geschäftsmodelle“, vor allem aber technologiegetriebene (Produkt)Innovationen auf. Für letztere gab es auch dieses Jahr wieder die Booktech Showcases resp. den Futurebook Award. Interessant: unter den Preisträgern war ein einziges echtes Start-up (Reedsy), ansonsten kamen Projekte aus renommierten Verlagshäusern: „HarperCollins scooped two prizes at The FutureBook Awards… but there were also wins for Hachette, Penguin Random House, Faber and BookTech Company of the Year, Reedsy.” Ein Verhältnis, das hierzulande eher umgekehrt ist.
Randbemerkung: die technologische Aufgeschlossenheit der Teilnehmer zeigt sich schon daran, dass auf und über die Veranstaltung mehr getwittert wurde als auf allen deutschen Branchenveranstaltungen zusammen!
Einige Berichte zur Futurebook finden sich noch hier, hier und hier sowie natürlich auf der Website des Bookseller selbst.
Warum ist eine Publishing-Mini-Republica (gut, der Vergleich hinkt: zugegebenermaßen ist der Unterschied zwischen Londoner Coolness und Berliner Verratzheit eben doch sicht- und spürbar) hierzulande nicht möglich? Die diversen Barcamps gehen in diese Richtung, sind aber meist monothematisch ausgerichtet. Die AKEP-Jahrstagung zeigte mE Ansätze in diese Richtung, war aber immer doch auch Verbandseingebunden. Viele andere Veranstaltungen waren und sind dagegen schon aus kalkulatorischen Gründen (so ein Event muss ja auch finanziert werden) viel zu sehr Entscheiderorientiert und inhaltlich inzestuös – welchen Erkenntnisgewinn zieht man daraus, wenn Geschäftsführer sich vor anderen Geschäftsführern auf die Brust trommeln?
Nun ist auch die Futurebook eine kommerzielle Veranstaltung, ganz klar, und wie auf jeder Veranstaltung gab es auch hier als Vorträge getarnte Werbeblöcke, um vermeintlich zugkräftige Namen auf der Agenda zu haben muss dann eben ein Pottermore oder Audible vertreten sein. Auch wenn der Erkenntnisgewinn eher gering ausfällt ist das aber angesichts eines sonst gut durchmischten Programms nicht wirklich schlimm, höchstens ärgerlich
Ganz grundsätzlich aber gilt: Wow und Aha-effekte sind die große Ausnahme, bei der Londoner Futurebook ebenso wie bei kontinentalen Branchenveranstaltungen. Und dies soll nicht einmal ein Vorwurf sein, sondern nur Ausdruck eines inzwischen tagtäglich vorhandenen Wissenstransfers, für den lokale Veranstaltungen schlicht nicht mehr nötig sind, der komplett in digitalen Netzwerken funktioniert. Dies bedeutet aber für alle Veranstalter ein radikales Umdenken – wie bitte ein spannendes Programm auf die Beine stellen, wenn alles schon einmal irgendwo verbloggt, vertwittert, verfacebooked oder vermailt wurde?
Die Beantwortung dieser Frage dürfte in den nächsten Jahren spannend werden. Und für mein Gefühl zu kleineren, spezifischeren, auch „praktischeren“, dem Dialog verpflichteten Veranstaltungen führen. We’ll see.