Man könnte es, wie sogar vom Börsenblatt, dem Hauptorgan des Branchenverbands Börsenverein, kolportiert, für einen späten Aprilscherz halten: E-Books sollen in Zukunft Altersfreigaben bekommen. Einerseits mag man das, vor allem aus Sicht besorgter Eltern, für einen sinnvollen Schritt halten. Aber angesichts der Bestrebungen sowohl des Verbands und ihrer Mitglieder als auch aus Regierungskreisen, das E-Book in Sachen Buchpreisbindung und Mehrwertsteuerregelung dem gedruckten Buch gleichzustellen, zeigt sich mehr und mehr, dass die Frage „Was ist ein E-Book?“ schlicht noch nicht auf der Grundlage des Produktdenkens des letzten Jahrtausends final beantwortet ist. Und vielleicht auch nicht beantwortet werden kann. Aber ein Blick auf mögliche und bestehende Kontrollmechanismen kann sicher nicht schaden.
Auslöser der Diskussion um das Thema FSK und E-Books war eine Berichterstattung im Rahmen des Verlegerausschuss-Treffens im Haus des Buchs in Frankfurt – der Verlegerausschuss ist ein Gremium innerhalb des Verbands, der Entwicklungen diskutiert, die Verlage betreffen. Das Börsenblatt berichtete über die Causa FSK folgendermaßen:
„Freiwillige Selbstkontrolle bei E-Books: Was zunächst wie ein verspäteter Aprilscherz klingt, wird E-Book-Produzenten demnächst zusätzliche Scherereien machen: Christian Sprang informierte die Verlegerrunde darüber, dass E-Books (wie CD-ROMs oder DVDs) unter den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag fallen. Im Gegensatz zu Büchern würden E-Books als Telemedien eingestuft, für die strengere Jugendschutzvorschriften gelten. Künftig müssten (noch zu benennende) Jugendschutzbeauftragte der Verlage Bücher – wie schon jetzt z.B. bei Filmen üblich – im Wege einer freiwilligen Selbstkontrolle einstufen und mit FSK 0, 6, 12, 16 und 18 kennzeichnen. Bei der Meldung ans VLB müsse diese Kennzeichnung in ein Pflichtfeld eingetragen werden, so Sprang. Bis spätestens 2017 müsse die neue Praxis umgesetzt werden. Eine pikante Note hat die FSK-Regel für E-Books mit eindeutig pornographischem Inhalt (bekanntlich ein stark nachgefragtes Segment): Sie dürfen künftig nur noch in geschlossenen Benutzerkreisen angeboten werden.“
Was ist eigentlich eine „freiwillige Selbstkontrolle“?
Nun muss man dazu wissen, dass es hier um eine „freiwillige Selbstkontrolle“ geht – bei anderen Medienformen wie Filmen findet dies schon seit 1948 statt, damals noch ausschließlich für die Filmwirtschaft. In den folgenden Jahren wurde diese Kennzeichnung (Selbstkontrolle bedeutet ja nicht, Produkte aus dem Verkehr zu ziehen, sondern diese nur kenntlich zu machen) auf andere Produktformen ausgedehnt: „Im Zentrum unserer Arbeit stehen freiwillige Altersfreigabeprüfungen von Filmen und anderen Trägermedien, die in Deutschland für die öffentliche Vorführung und Verbreitung vorgesehen sind. Dazu zählen neben Kinofilmen vor allem digitale und analoge Videoformate wie DVD, Blu-ray und VHS.“
„Freiwillige Selbstkontrolle“ bedeutet aber auch, dass hier ein von den beteiligten Wirtschaftsunternehmen eingesetztes (und finanziertes) Gremium operiert, keine von staatlicher Seite beauftragte oder kontrollierte Institution: „Die FSK ist eine Einrichtung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO), dem Dachverband von derzeit 18 film- und videowirtschaftlichen Verbänden“ mit Sitz in Wiesbaden.
Kontrolliert wurde auch bei Büchern schon immer
Dies bedeutet aber nicht, dass in der Vergangenheit keinerlei Form der Kontrolle von in Buchform veröffentlichten Inhalten stattfand, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien definiert das zu beobachtende Gut eindeutig: „Trägermedien sind also zunächst alle Medien, bei denen Texte, Bilder oder Töne durch gegenständliche Weitergabe verbreitet werden, z. B. als Heft, Buch, Schallplatte, Audio- oder Videokassette oder als einer der mannigfachen digitalen oder analogen Datenspeicher (Diskette, CD-ROM, DVD, Blu-ray Disc).“
Ebenfalls werden Verstöße klar sanktioniert: „Hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) ein Trägermedium in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen, so gelten mit Bekanntmachung der Indizierung im Bundesanzeiger weitreichende Abgabe-, Präsentations-, Verbreitungs-, Vertriebs- und Werbebeschränkungen…“.
Zusammenfassend heißt dies also, dass die bisher für gedruckte Bücher geltende Aufsichtsfunktion der Bundesprüfstelle auch für E-Books gilt.
Merkantile und Buchhändlerische Kontrollfunktion
Zwei weitere schon lange bestehende Kontrollmechanismen sind uns als solche oft gar nicht bewußt: die Geschäftsfähigkeit und der Händler. Letzterer hatte schon immer diese Rolle inne – wer einmal im Buchhandel mit angeschlossenem Zeitschriftenverkauf gearbeitet hat, weiß, wie die Anweisung zur Handhabung nicht jugendfreier, meist pornografischer Literatur aussieht (nämlich „unter dem Ladentisch“). Und selbst das angeblich so anonyme Internet mit seinen Handelsplattformen kennt eine einfache Regel und hier hört der Spaß beim Bezahlen auf – wozu Geschäftsfähigkeit und damit Volljährigkeit gehört. De facto hindert einen im Zweifel also der gestrenge Verkäufer oder die Unfähigkeit, Geld auf die virtuelle Ladentheke legen zu können, am Erwerb des gewünschten Schmuddelkrams.
Das E-Book basiert auf Webtechnologien – wie Youporn & Co.
Kontrollfunktionen gibt es also schon. Eine FSK für E-Books mit Altersangaben ist aus Sicht von Erziehungsberechtigten vielleicht sogar wünschenswert – wobei es etwas widersinnig erscheint, da der Kauf der digitalen Literatur ohne Wissen eines Erwachsenen (siehe Geschäftsfähigkeit) kaum möglich ist. Eine etwas unsinnige Maßnahme im Sinne einer Kaufverhinderung. Als Orientierung in Form einer Altersangabe mag das anders aussehen.
Aber völlig widersinnig werden die Überlegungen, wenn man sich ansieht, dass ein auf Web-Technologien aufgebautes Objekt, nämlich das E-Book, Einschränkungen unterworfen werden soll, während mit denselben Technologien Zugänge zu für Jugendliche und Kinder mehr als fragwürdigen Online-Inhalten völlig problemlos möglich sind. Also das E-Book „an die Kette legen“, während man durch Eingabe einer URL und einen Klick auf einen Button „Ja, ich bin volljährig“ Zugang (der an keiner Stelle auf Wahrheit überprüft wird) zu ganz und gar nicht jugendkonformen Inhalten erhält. Egal, ob sechs oder sechzig.
Das E-Book: weder Fisch noch Fleisch
Ob nun die Verlagsbranche eine (teure) FSK-Organisation aufbaut oder nicht – an der Diskussion zeigt sich primär wieder die Schizophrenie und die Unmöglichkeit, das Produkt E-Book sinnvoll einer bestehenden Produktgattung (und deren Regeln) zuzuordnen.
Gefordert wird etwa vom Verband die Gleichstellung zum gedruckten Buch – wenn es um die Themen Buchpreisbindung und Mehrwertsteuer geht. Abgelehnt wird die Möglichkeit des Weiterverkaufs des Produkts adäquat zu Software. Und jetzt kommt durch das Telemediengesetz möglicherweise noch die FSK-Auszeichnung wie bei DVDs und anderen Medienträgern hinzu. Was nun? Fisch? Fleisch? Die Produktform E-Book zeigt in vielen momentanen Auseinandersetzungen, wie ungenügend Umgang, Regularien, Gesetzgebung auf neue Produktformen eingestellt sind. Und dabei steht das E-Book gerade erst am Anfang seiner eigentlichen Evolution.
Copyright Teaserbild: David Lofink
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