Amazon ist ja immer für eine Überraschung gut. Das Kindle Matchbook-Angebot (günstiger nachträglicher Kauf eines E-Books zu einem irgendwann gekauften Print-Buch) wird aber auch hierzulande die Diskussion um Bundle-Angebote aus Print und E-Book neu befeuern. Was steckt aber genau dahinter?
„Amazon’s Kindle MatchBook will let you buy cheap digital editions of print books you already own“. So betitelt paidContent den neuesten Coup von Amazon. Und engadget jubiliert „When Amazon launched AutoRip, we looked at our bookshelves and wished that us readers would get something similar. Fortunately, the company had the same idea, and is now announcing Kindle Matchbook“.
Kindle Matchbook ist in Kürze formuliert ein Service für Käufer gedruckter Bücher (und zwar anscheinend rückwirkend bis 1995), die sich für „$2.99, $1.99, $0.99, or free“ das adäquate E-Book kaufen können.
Hierzu die Pressemitteilung von Amazon selbst:
„Kindle MatchBook features include:
Kindle editions at a great price: Amazon customers who purchase or have purchased qualifying print books can get the Kindle edition for prices that are typically $2.99, $1.99, $0.99, or free.
For book purchases dating back to 1995: Print purchases all the way back to 1995—when Amazon first opened its online bookstore—will qualify once a publisher enrolls a title in Kindle MatchBook.
Easy discovery: Readers can easily look up their entire print book order history to discover which of their past purchases are enrolled in Kindle MatchBook.
Popular Kindle-only features: As with regular purchases, Kindle MatchBook titles have unique features such as Whispersync, Popular Highlights, and X-Ray.
Read anywhere capabilities: In addition to Amazon’s best-selling Kindle devices, customers can download a free Kindle reading app for iPhone, iPad, Android tablets and phones, PC or Mac and start building their Kindle library today.
Kindle MatchBook will launch with books from Ray Bradbury, Michael Crichton, Blake Crouch, James Rollins, Jodi Picoult, Neil Gaiman, Marcus Sakey, Wally Lamb, Jo Nesbo, Neal Stephenson, and J.A. Jance, among others. In addition, Amazon Publishing will include all its titles in Kindle MatchBook. Authors and publishers using Kindle Direct Publishing (KDP) can enroll their books in the program today…“
Und der deutsche Buchmarkt?
Was man ganz klar aus Kundensicht sagen muss: ein toller Service – vor allem bei dem Preis. Wenn – und das ist die entscheidende Frage – medienübergreifende Bundles überhaupt in großem Umfang auf Kundenbedarf treffen. In diesem Blog, aber auch diversen Diskussionsgruppen war dies der neuralgische Punkt, wenn es um die Vorzüge von Produktbundles ging (etwa in Hinblick auf den Buchhandel, der aber bei Kindle Matchbook logischerweise aussen vor bliebe). Konkret: wozu noch eine digitale Kopie, wenn das gedruckte Buch schon gelesen wurde? Und gibt es wirklich so viele Kunden, die morgens in der Bahn digital und abends auf dem Sofa auf Papier weiterlesen?
Bleibt natürlich auch die Frage nach dem Vorteil für die Verlage. Sollte sich obige Zielgruppe doch als relevant erweisen, wäre Kindle Matchbook eher als Marketing-Tool zu werten. Der Vorteil von Bundles, die verlagsseitig verwaltet werden würden (mit entsprechend höherem Aufwand), nämlich der Kundenkontakt und eine Möglichkeit, etwa Name und E-Mail-Adresse zu generieren, wäre dann obsolet. Dafür müsste sich ein Verlag nicht um die entsprechende Technik kümmern.
Hier treffen sich wieder die Vorteile, die Amazon unbestreitbar für Endkunden bieten würde, mit den Nachteilen für Verlage (vom Buchhandel ganz zu schweigen).
Eine weitere aktuell diskutierte Frage ist die nach der Buchpreisbindung und welche Probleme durch Kindle Matchbook auftauchen könnten. Im Prinzip (und hier meine persönliche Meinung) keine, wenn ein Verlag das Bundle als eigenständiges Produkt anbietet. Sprich: der Kunde würde bei Matchbook eigentlich das Bundle-Produkt kaufen. Was natürlich nicht rückwirkend ginge.
Derzeit muss man sehen, wie dieses Angebot in den Staaten angenommen wird, aber früh darüber nachdenken, welche Implikationen dies für den deutschen Buchmarkt hätte. Zumindest die Bundle-Diskussion wird hierdurch im Moment neu befeuert.
Die wenigsten deutschsprachigen Verlage dürften rückwirkend bis 1995 E-Rechte in die Verträge geschrieben haben. Und wie sollen die Autoren denn gerecht entlohnt werden, wenn mit fallenden Preisen auch die Tantiemen fallen? Verlagsautoren werden vielleicht noch vorsichtiger mit der Nutzung ihrer Nebenrechte werden. Und irgendwann wird man sich das Geld übers Printbuch wieder holen, sprich, die Bücher werden teurer.
Ich frage mich, wer außer Amazon hier Gewinner sein könnte.
Das amerikanische Modell dürfte wegen der von dir angesprochenen rechtlichen Problematik schwierig sein – aber auch die konsequente Umsetzung der Buchpreisbindung würde dem Modell seinen Charme nehmen, nämlich für ein vor zehn Jahren gekauftes Printbuch für wenig Geld heute das E-Book zu erwerben.
Zur Frage von Zielgruppen und Kundenbedarf: Das finde ich gar nicht so weit hergeholt, vor allem, wenn das E-Book passend zu so weit zurückliegenden Käufen erworben werden kann. Ich kenne immer mehr Leute, die ihre physischen Bücherregale verkleinern und die Lektüre lieber im elektronischen Zugriff behalten.
Ob der Kunde ein solches Bundle benötigt, wird sich recht schnell herausstellen – wenn er das Angebot wahrnimmt. Aber warum sollt er nicht? Es wird vermutlich nicht so sehr um aktuellen Bestsellerlistenschund gehen, als um ältere Werk, Nachschlagewerke, Handapparatliteratur, Klassiker, in die immer wieder hinein geschaut wird. Nicht zu vergessen jene Bücher, die man vor bald 20 Jahren kaufte, die man eigentlich mal wieder lesen wollte, aber heute lieber als eBook.
Nur so als Beispiel, ich habe hier drei Sammelbände mit Texten von H.L. Mencken stehen, die mir keine Suchfunktion á la Kindle bieten. Manch arkane Wortverwendung lässt sich unterwegs auch nicht mal eben nachschlagen, ein nützliches Wörterbuch dauernd mitzuführen, ist aber wenig praktikabel.
Ich glaube, was bei diesen Diskussionen häufig bzw. von Verlagen und Buchhändlern im deutschsprachigen Raum gerne übersehen wird: Für mich als Kunde ist das ein neues, nettes Feature. Vielleicht brauche ich es, vielleicht auch nicht. Aber ich hätte, wenn ich denn wollte, die Wahl.
Und damit legt Amazon ein weiteres kleines Steinchen in dem Mosaik seiner Verkaufsargumente. Und je mehr Steine Amazon legt, desto früher erreichen sie diesen „Tipping Point“, an dem die Gunst des Kunden beginnt, sich in ihre Richtung zu neigen.
Häufig wird nach der einen Lösung gesucht, Betroffene verlangen nach dem goldenen Konzept, sozusagen. Dabei geht es schlicht um die Bündelung von möglichst vielen Vorteilen für den Kunden.