Gestern tobte eine Mischung aus Lach- und Zorneswellen durch die Buchbranchennahen Teile des Webs. Ursache: die Kollegen von Carlsen hatten arglos einen „Conni„-Band aufgelegt (fast jeder mit Nachwuchs stolpert irgendwann zwangsläufig über diese Buchreihe), in dem nicht gewaltverherrlichende oder sexistische Inhalte für buchhändlerische Wallungen sorgten, sondern die Tatsache, dass die Protagonistin hier einen Amazon-Gutschein bekommt und sich dann auch noch erdreistet, sich darüber zu freuen.
Die Reaktion einiger Sortimenter folgte prompt und energisch: schließlich ginge es nicht an, Werbung für den großen Konkurrenten zu machen während der Buchhandel die Reihe über Jahre aufgebaut habe. Genauso prompt reagierte der Verlag, entschuldigte sich und die Autorin will den Un-Namen aus der nächsten Auflage tilgen. In anderen Fällen und bei anderen Unternehmen hätte man vermutlich schnell von Zensur gemunkelt, aber gut. In jedem Fall hatten die Kommentatoren ihren Spaß, die mit bei Carlsen nahe liegenden Vergleichen zu „Dem, dessen Name nicht genannt werden darf“ schnell bei der Hand waren.
Damit könnte man das Ganze auch schon wieder zu den Akten legen, würde sich hier nicht langsam aber sicher ein Bild abzeichnen, dass bei den Reaktionen auf den sogenannten „Amazon-Skandal“ begann, bei der Stigmatisierung der Sparkassen seine Fortsetzung fand und beileibe nicht auf der Veranstaltung der CDU Mittwochabend unter dem Titel „Das Gedruckte – nur noch etwas für Nostalgiker?„, der ich beiwohnte, auch endete. Fast jeder der dort versammelten Diskutanten hatte unabhängig von der Qualität seines Beitrags schnell ein Feindbild gezeichnet: Amazon. Vermutlich wird Jeff Bezos demnächst tatsächlich noch als Lord Voldemort der Wirtschaftsgeschichte bezeichnet oder zumindest wird Amazon auch die Verantwortung für miserable Wetterlagen bekommen.
Damit kein Missverständnis entsteht: es haben sich Interessensgruppen schon immer und auf unterschiedliche Weise bei echten oder vermeintlichen Mißständen zu Wort gemeldet, waren meinungsbildnerisch aktiv. Das ist legitim. Und es gehört auch zu einer Demokratie und Redefreiheit.
Aber damit sein eigenes Reaktionsportfolio auch schon erschöpft zu haben ist mager. Und man darf auch durchaus nicht aus den Augen verlieren, dass der Grat zwischen berechtigtem Einspruch und wehleidigem Jammern beim Kunden (und der ist ja eigentlich Adressat) sehr schmal ist. Ebenso wie der Kunde in seiner Moralität nicht überschätzt werden darf. Alle Boykotts gegen Wirtschaftsunternehmen haben zwar mitunter ein großes Echo in den Medien hervorgerufen, auch tatsächlich zu kurzfristigen wirtschaftlichen Einbußen geführt – erreicht wurde in der Regel aber doch nur die dem Thema gegenüber affine Minderheit. Oder wird etwa heute noch das Unternehmen Esso großflächig boykottiert? Eben: Nein! Denn letzten Endes sind für den Kunden Angebot, Preis, Service entscheidend, die Moral kommt erst dann.
Also nochmal: Lobbyismus ist legitim. Aber er darf sich nicht in abwehrendem Gejammer erschöpfen, sondern es muss auch aktiv der Beweis angetreten werden, warum man selbst der bessere Handelspartner ist. Ein klitzekleiner Anfang wäre, die jetzt in Tiraden investierte Energie (für die merkwürdigerweise Zeit da ist) etwa in (auch digitale!) Kundengewinnungs und -bindungsmaßnahmen zu investieren – von denen ja viele Sortimenter behaupten, sie hätten einfach keine Zeit dazu. Denn ein Harry Potter des Buchhandels ist nicht in Sicht!
Bildquelle: Flickr Travis Estelle
Google
Der größte Gag in diesem Theater der Schaumschlägerei wäre ja, wenn Amazon plötzlich seine Verkaufszahlen zu Conni offenlegte und damit bewiese, wie fleißig Carlsen auch mit Voldemort Geschäfte macht. Aber das machen die nicht. Die investieren ihre Zeit in Entwicklung und Kundenzufriedenheit 😉
Ich persönlich glaube – nach vielen Gesprächen im von der Buchbranche fernen Bekanntenkreis, dass die Leserinnen und Leser längst das Verständnis für solche Gegenaktionen verloren haben, zumal im Lauf der Zeit ja auch kritisch aufgedeckt wurde, wie der anfängliche Amazonbericht in der ARD tatsächlich entstanden war. Die Stimmung droht gefährlich zu kippen, gerade wegen der moralinsauren Untertöne einer jeden Kapagne.
Ich kann mich erinnern, dass im 2. oder 3. Harry Potter Buch im ersten Kapitel etwas von einer Play-Station erwähnt ist, die aus dem Fenster geworfen wurde. Es hat sich kein Nintendo oder Microsoft darüber beschwert, wenn ich mich nicht irre!?!