Bored by Banner? Willkommen im Club! Die Industrie ist es nämlich auch…
Das Geschäftsmodell der Reichweitenmonetarisierung funktionierte über das Umfeld – also die werthaltigen Inhalte der Zeitschrift (und deren Marke), um die herum mehr oder weniger passende Anzeigen eindimensional platziert wurden. So jedenfalls über Jahrzehnte in Print geschehen. Und genauso fantasielos praktiziert von Verlagen im Internet. Und wer fantasielos agiert muss sich nicht wundern, wenn sich niemand für diese Werbung interessiert (Thema „Banner Blindness“). Es ist schlicht der Nutzer, der die „Mad Men“-Mentalität und -Werbung des letzten Jahrtausends nicht mehr will, das alte „Push“ hat ausgedient. Inhalt ist gefragt! Realität ist aber auch, dass im digitalen Bereich Industriekunden mehr und mehr selbst redaktionelle Umfelder schaffen, etwa Coca Cola, die eine magazinähnliche Firmen-Website aufbauten, die den Vergleich mit vielen Verlagsangeboten nicht zu scheuen braucht. Kein Wunder, dass ein vernehmbares Unwohlsein, gefolgt von einem reflexhaften „Mit unseren Angeboten kann das nicht mithalten!“ durch die Branche ging. Fakt ist auch, dass gerade im Online-Bereich viele Kollegen aus Fachzeitschriftenverlagen mehr oder weniger offen zugeben, dass die Websites der einstigen Anzeigenkunden in vielerlei Hinsicht den eigenen Online-Auftritten überlegen sind, oft auch in der redaktionellen Tiefe, Umfang der Fachinformationen etc. Insofern ist das, was Coca Cola tut, nur der momentane Peak eines Trends, bemerkenswert aufgrund des üppigen Werbegeldvolumens des Softdrinkherstellers, das den Medien davonschwimmen wird. Wenn Märkte wirklich Gespräche werden, dann haben Medienunternehmen mit Sicherheit nicht mehr die Gesprächshoheit wie in der Vergangenheit die Hoheit über die Produktions- und Distributionsmittel. Da steht die Website des Laubsaugerproduzenten gleichberechtigt im Google-Ranking neben der Laubsaugerzeitschrift. [Fußnote: meist steht der Laubsaugerproduzent sogar besser da, da er in SEO-Maßnahmen sinnvoll investiert. Und wenn Google im Streit um das Leistungsschutzrecht seine Drohungen wahr macht, steht mit etwas Pech der Laubsaugerproduzent sogar allein da. Aber das ist eine andere Geschichte.]Und wenn Märkte wirklich Gespräche werden, dann finden diese in den Kommunikationsnetzwerken der Gegenwart statt. Auch hier steht die Facebook (wahlweise anderes Netzwerk eintragen)-Site der Laubsaugerzeitschrift erstmal gleichberechtigt neben der des Laubsaugerproduzenten. Fatal nur, dass ausgerechnet die sonst so fabulierfreudigen Medienhäuser hier mit dem Charme geronnener Milch eher Werbung für die eigenen Inhalteprodukte machen, während die Industrie freudige Teilhabe an einer Sharing-Kultur entwickelt, um Authentizität und Markenbildung zu fördern. Und was redaktionelle Kompetenz angeht: die läßt sich heute billigst einkaufen. Hier haben große Medienhäuser Vorschub geleistet, indem man sich, um dem Marktdruck standhalten zu können, „schlank gemacht“ hat. Auf gut deutsch: wenn Unternehmen unter Druck geraten, werden erstmal Leute entlassen. Dass man dabei die eigene Kernkompetenz auf die Straße gesetzt hat muss man dabei wohl übersehen haben. Hier findet die Entstehung eines neuen Content-Markts statt, der industriegetrieben und in vielerlei Hinsicht dem der Medienunternehmen schlicht überlegen ist, auf jeden Fall aber in kompletter Konkurrenz im „Kampf um die Aufmerksamkeit“ des Nutzers steht. Das werden wir Verlage so akzeptieren müssen. Oder? „Wer den Feind umarmt, macht ihn bewegungsunfähig“ oder: was zur Hölle hat das alles mit dem Forbes-Modell zu tun? Nun hilft in solchen Situationen weder heilloses Jammern noch das Warten auf ein Wunder(instrument). Dazu sind die Verhältnisse in Märkten, die Industrie- und Publikationsstruktur oft viel zu unterschiedlich. Was aber noch nie geschadet hat: sich umzuschauen, wie manche Akteure mit solchen Situationen umgehen, um günstigstenfalls daraus zu lernen. Und jetzt kommen wir endlichendlich zum Forbes-Modell und hurtig auch zum Thema „Content-Marketing„! Von Lewis DVorkin aufgebaut und propagiert, ist das Forbes-Modell unter journalistischen Gesichtspunkten hochinteressant, wie Jeff Sonderman von „Poynter“ bemerkt: „Today, it is less website, more operating system — an underlying layer of technology that hundreds of contributors use to publish independently.“ Das journalistische Konzept dahinter ist spannend, soll aber hier nicht weiter behandelt werden. Dvorkin hat dies unter dem Titel „Inside Forbes: The 9 Key Steps We’ve Taken to Disrupt the Traditional News Business“ selbst beschrieben. Bei Interesse einfach in die nächste Buchhandlung gehen und nach DVorkins Buch fragen. Interessieren soll un shier aber ein Teil der Refinanzierung in Form der BrandVoices: „Forbes BrandVoice™ allows marketers to connect directly with the Forbes audience by enabling them to create content – and participate in the conversation – on the Forbes digital publishing platform. Each BrandVoice™ is written, edited and produced by the marketer.“ Und genau hier kommt das Element ins Spiel, das hierzulande unter dem Slogan „Content Marketing“ langsam in der Diskussion um Geschäftsmodelle mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Dabei führt natürlich der erste Blick zur Definition zu Wikipedia:
„Im Gegensatz zu werbenden Techniken, wie Anzeigen, Banner oder Werbespots, stellen die Inhalte des Content Marketings nicht die positive Darstellung des eigenen Unternehmens mit seinen Produkten in den Mittelpunkt, sondern bieten nützliche Informationen, weiterbringendes Wissen oder anziehende Unterhaltung… Seine Ziele erreicht das Content Marketing, indem es den Inhaltsproduzenten als Experten, Berater und Entertainer profiliert, der Kompetenzen, Know-how und Wertversprechen durch den Inhalt demonstriert, statt sie nur zu behaupten.“ Warum also dem Werbetreibenden dieses Content-Marketing-Umfeld nicht im eigenen redaktionellen Umfeld bieten, etwa in Form eines Themenkanals o.ä.? Und das muss nicht auf große Portale beschränkt werden, sondern kann gerade in sehr spezialisierten Zielgruppen hochinteressant sein. Der Benefit beim Industriekunden ist dabei gleich mehrfach: er kann seine Kompetenz über Inhalte vermitteln, nicht über gähnend langweilige Produktpromotionen. Schliesslich hat er auch eine „Geschichte zu erzählen“ und nicht nur Produkte im Portfolio. Und er kann diese Geschichte in einem passenden Umfeld erzählen. Sind diese Geschichten spannend, steigert er die Zugriffe auch auf das eigentliche Portal und man schaukelt sich wunderbar gemeinsam nach oben in der Wahrnehmung des Nutzers. Verkaufe kein Produkt – Erzähle eine Geschichte! Die alten, saturierten Männer der Medienbranche werden natürlich wieder rufen: „Hatten wir alles schon, sogar in Print, das nennt sich Advertorial!“. Und beweisen stante pede, dass sie den eigentlichen Knackpunkt an der Geschichte nicht verstanden haben. Wikipedia (wieder einmal) sagt dazu: „Ein Advertorial…ist die redaktionelle Aufmachung einer Werbeanzeige, die den Anschein eines redaktionellen Beitrages erwecken soll.“ Bei Content-Marketing resp. dem Forbes BrandVoice-Modell wird eben nicht ein Anschein erzeugt, der Leser, sagen wir es, wie es ist, irregeführt! Der Ansatz ist ein komplett anderer, da soll keine Werbeanzeige im Mantel eines Artikels das Trojanische Pferd spielen, sondern hier steht der werthaltige Content im Mittelpunkt. Ansonsten folgt die Strafe durch den Nutzer auf dem Fuße. Im Grunde könnte ein weiteres Erlösmodell in einer Ableitung des Corporate Publishing funktionieren, in dem Redaktionen im Auftrag eines Kunden dessen Themen abbilden – gegen Honorierung, ganz klar. Und warum sollte die werbetreibende Industrie mitspielen? Ganz einfach: das Medienbudget des Nutzers ist begrenzt. Sollte die Industrie tatsächlich selber als Content-Player auftreten, muss sich dieser zwischen zwei Angeboten entscheiden. Die Aufmerksamkeit für den einen wird zwangsläufig auf Kosten des anderen gehen. Und noch (!) haben zumindest im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich die Medien in ihren Zielgruppen eines: eine Marke. Und wo bleibt die Trennung zwischen Anzeige und Inhalt, zwischen eigengeneriertem und ge-/verkauftem Content? Zunächst ist es so, dass Nutzer durchaus Werbung (im Digitalen) goutieren – wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Punkt bei ihm erscheint. Google Ads können nützlich im richtigen Kontext sein, da hier der Anbieter der Anzeige und damit seines Produkts oder Services ja bereit ist, Geld für Aufmerksamkeit auf den Tisch zu legen. Was Nutzer nicht mögen, und dies ist auch der Grund für Banner-Blindheit: das ungefilterte Giesskannenprinzip – zu mehr sind aber viele Verlage auf ihren Websites (wenn wir mal ehrlich sind und ganz unter uns) gar nicht in der Lage. Langer Rede kurzer Sinn: Werbung ist nicht per Geburt böse.
Des Weiteren wird hierzulande oft die Fahne des hochwertigen redaktionellen Inhalts hochgehalten, die es von der ganz und gar nicht hochwertigen Werbung abzugrenzen gäbe. Abgesehen davon, dass sogar einige Journalisten diese hochwertigen Inhalte schon zynisch als „Textplatzhalter und -Beigabe für Werbung“ bezeichnet haben, muss man sich darüber im Klaren sein, dass beide Parteien (mit Ausnahmen, aber wenigen) im Grunde monetäre Ziele verfolgen.Auch das ist nichts Schlechtes per se und kann durchaus in Symbiose mit aufklärenden, meinungsmachenden, diskussionsanstossenden Beiträgen geschehen. Anders herum gefragt wäre es doch so: kann durch eine Kenntlichmachung nicht sogar mehr Transparenz erzeugt werden? Ist ein klar ersichtlich von einem Industrieunternehmen geschriebener Channel nicht besser einzuordnen als ein vermeintlich unbehindert geschriebener Artikel, dem aber mehrere Recherche-Reisen und andere Zuwendungen finanziert durch ein Unternehmen vorangingen – ein Vorgang, der dem waldläufigen Leser meist unbekannt bleibt, ausser ein anderer, investigativer Journalist weist darauf hin? Und wenn es guter Inhalt in einem solchen Industrie-Channel ist, hat auch selbige großes Interesse an dessen Kenntlichmachung, weil die Kompetenz des Artikels auf die eigene Industrie-Marke abfärbt – der eigentliche Daseinszwecks dieses Kanals.
Also alles halb so wild…
Sascha Lobo hat sich in seinem Blogpost „Der wahre Alptraum der Medien“ darüber ausgelassen, dass die Zeitungskrise eigentlich eine Krise der Werbung resp. Verschiebung der Werbebudgets ist. Dabei entwirft er einige Modelle der journalistischen Finanzierung, etwa Bezahlinhalte, Subvention a la GEZ (wovon ich persönlich wenig halte) „und schließlich wird wenig an verbindlichen, transparenten und sanktionierten Regeln für unternehmensfinanzierten Journalismus vorbeiführen.“ Mit genau diesen Regeln wird sich entscheiden, ob oben ausgeführtes Modell funktioniert, vor allem in der Breite. Sollte es funktionieren, haben alle etwas davon: die Industrie, der Journalismus – und am Ende auch der Nutzer, auf den es schlussendlich bei allen Geschäftsmöglichkeiten und -modellen ankommt. Und ist etwas Fantasie wirklich zuviel verlangt von uns (Fach-)Verlagen? Sollte dies nicht funktionieren, werden Unternehmen ihre eigenen Kanäle auf- und ausbauen wie Coca Cola, abseits resp. in Konkurrenz zu den journalistischen Angeboten von Verlagen, denen dann immer weniger Monetarisierungsmöglichkeiten bleiben. tl;dr Printmedien sollten vielleicht der Industrie einen eigenen Content-Kanal bieten bevor die es auf eigenen Präsenzen selbst tun.
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