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Amazon: „Ein Kunde ist kein Kritiker“, sagt die taz. Doch, eigentlich schon, meine ich.

samuel johnson amazon kritikIn der „taz am Wochenende“ vom 20./21. Dezember 2014 fanden sich einige bemerkenswerte Statements junger Schriftsteller zu Amazon. Bemerkenswert, da diese weitab jeder Amazon-Verurteilung waren, weitab auch von jeder kuscheligen Glorifizierung des Buchhandels ähnlich dem „Italiener um die Ecke, ein hoffnungslos verkitschter Sehnsuchtsort“, wie einer der Autoren, Felix Dachsel, bemerkt. Die Kunden-Rezensionen auf Amazon hatte dabei Margarita Iov im Auge, die diesen mit einem harschen „Ein Kunde ist kein Kritiker“ jedwede Berechtigung der Beurteilung von Literatur absprach. Und damit einen bemerkenswert konservativ-elitären, Leser-verächtlichen Gedanken verfolgt, der nicht unwidersprochen bleiben sollte.

Mit der Vermutung, der Kunde oder Leser wolle immer nur hektisch „das Beste“, eben auch das „beste Buch“, schiele dieser auf Bewertungen und Kritiken anderer Leser. Das ist laut Margarita Iov ein Irrweg: „Vielleicht haben wir das vergessen, aber selbstverständlich ist für einen Schriftsteller die Meinung eines Literaturkritikers wichtiger als die des nächstbesten anonymen Users…Natürlich darf man gerne glauben, die eigene Meinung sei mindestens genauso wertvoll, weil man doch gebeten wurde, sich für eine Sternchenanzahl zu entscheiden, aber im Grunde unseres Herzens unseres Herzens wissen wir doch alle, dass dem nicht so ist…“.

Und weiter: „Das größte Problem ist, dass die Bewertungen verrechnet werden. Damit erhält jedes Produkt eine Note. Und wird von Amazon auf einen Rang verwiesen.“ Dass Amazon die Bewertung von Kunden dazu nutzt, um daraus ein Ranking zu erstellen, ist zum einen keine Eigenart, sondern wird von fast allen Plattformen so vorgenommen. Als Orientierung in der Fülle an Produkten. Und auch nicht Amazon macht daraus ein Ranking, die Nutzer nehmen dies durch ihre Bewertungen vor. Amazon, wie im Artikel sublim dargestellt, ist nicht der Wertende, nur die Plattform.

Man könnte auch andersherum einen Schuh machen: wer veröffentlicht, eine Leserschaft sucht, muss sich dem Urteil dieser stellen. Gerade in digitalen Zeiten. Alles andere ist irgendwo zwischen Selbstüberschätzung und Vorstadttyrannis anzusiedeln.
Lustigerweise nehmen wir diese Nutzerbewertungen und -erfahrungen bei anderen Produkten, vom Smartphone bis zum Staubsauger, gerne an, ohne dabei zu fragen, ob die Nutzererfahrung von einem ausgebildeten Ingenieur oder einer Hausfrau stammt. Auch die Argumentation, ein Staubsauger sei kein intellektuelles Kulturgut wie ein Buch, klingt läppisch. Es wird nach Orientierung und Einschätzung gesucht, auf deren Basis sich ein Kunde oder Leser selbst ein Bild machen kann. Punkt.

Und auch die Qualitätsdiskussion im Kontext der Lesermeinungen ist eine irreführende. Iov führt dafür Beispiele an wie „Das beste Buch, das ich je gelesen habe!“ oder „Wirre Geschichte. Ich weiß nicht, wie man so schreiben kann!“. So denkt und urteilt der Leser eben, ob es einem passt oder nicht. Und manche Feuilletonkritik sagt genau dasselbe – nur eben mit 5000 Anschlägen mehr, weil der Journalist nun mal dafür bezahlt wird, einen bestimmten Textumfang zu liefern.

Interessanterweise zeigt sich in Margarita Iovs Text das grundlegende Unbehagen vieler „Produzenten“, das mit der veränderten Stellung des Käufers, Lesers und Nutzers in digitalen Zeiten einhergeht: „…Und das sollten wir uns als Schrifstellerinnen alle fragen, ob wir eine Note erhalten wollen, von einer zufälligen Ansammlung anonymer Internetuser.“ Mag das Schreiben (und auch dies ändert sich) heute noch ein weitgehend hermetischer Prozess sein, der Umgang des Lesers ist es nicht mehr, es wird eine digitale Öffentlichkeit in Blogs, Foren, Sozialen Netzwerken oder eben auch auf Verkaufsplattformen geschaffen und genutzt, ungeachtet von Eintrittshürden wie etwa einem Studium der Literaturwissenschaften oder ähnlichem.

Wer einen kritischen Umgang mit dem eigenen Werk seinem Leser abspricht, befindet sich auf einem gefährlichen Irrweg als Autor. Schließlich ist das schon immer passiert, nur eben heutzutage auf Plattformen aller Art auch öffentlich. Wer sich dem verschließt mit dem Hinweis auf die unqualifizierte Meinung des Lesers (vor allem, wenn der Autor diese Meinung nicht goutiert), andererseits gerade aber durch Veröffentlichung genau diesen Leser im Auge hat und sucht – der sollte sein Manuskript besser in der Küchenschublade lassen, aus der es kam.

tl;dr In einem Text für die taz spricht die Schriftstellerin Margarita Iov den Amazon-Kunden das Recht auf Beurteilung von Büchern ab, dies gehöre in die Hände von Literaturkritikern. Wer so verächtlich von seinen Lesern denkt, sollte kein Publikum suchen, meine ich.

Teaserbild: Samuel Johnson’s Lives of the Poets (1779–81) was possibly the first thorough-going exercise in biographical criticism. Quelle: Wikipedia

3 Kommentare

    • Okay, von 2013 und die Liste sieht ziemlich nach überfleißigem Erstsemester aus, aber das ist ja eigentlich generell ihr Kritikpunkt, oder?

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