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MOOCs – wenn das Lernen digital und öffentlich wird

Stellen Sie sich vor, Sie sind ordentlicher Professor an einer amerikanischen Elite-Universität, haben eine Vorlesung, betreten den Hörsaal – und 160.000 (in Worten: einhundertsechszigtausend) Studenten warten schon gebannt auf Sie. Utopie? Im Herbst 2011 wurde dies Realität, als die Stanford University drei Informatikkurse als sogenannte MOOCs anbot. Was aber genau sind diese MOOCs und welche Chancen als auch Risiken bieten sich für Fachverlage in diesem Umfeld?
Zunächst einmal zur Definition des Akronyms MOOC: es handelt sich dabei um „Massive Open Online Course (auf Deutsch etwa massiver offener Online-Kurs),“ (Wikipedia, mehr dazu siehe Kasten „Was ist der Unterschied zwischen xMOOCs und cMOOCs?“). Letzten Endes findet hier eine flächendeckende Digitalisierung des Lehr- und Lernbetriebs statt, die die Wochenzeitung „Die Zeit“ als „eine der aktuell wichtigsten Entwicklungen in der Hochschulbildung“ bezeichnete. Neben und durch die Digitalisierung aber auch im weitesten Sinne eine Demokratisierung der Fort- und Ausbildung, sozusagen eine Volkshochschule im Wortsinn für Jedermann.

A short History
Schon im Jahr 2002 sollten im Rahmen des Open CourseWare-Projekt (OCW), initiiert durch das MIT (Massachusetts Institute of Technology) Lehrinhalte frei unter Open Access-Lizenz digital allgemein zur Verfügung gestellt werden. „Kennzeichnend für OCW ist, dass die Materialien unter einer offenen Lizenz stehen, es keine Abschlüsse oder Zertifikate gibt und auch kein direkter Zugang zu den Lehrenden oder anderen Lernenden möglich ist. Vielmehr handelt es sich um eine einfache Online-Bibliothek für (durchaus multimediale) Kursmaterialien. Der OpenCourseWare-Initiative gehören inzwischen über 250 Universitäten und Organisationen an. Pro Monat greifen etwa 1 Mio. Besucher auf die Kurs-Materialien zu, die in der Regel aus Video- oder Audio-Lektionen, Textbooks oder Notes bestehen.“ (Upload Magazin).
Aber erst im Jahr 2011, als das oben erwähnte Projekt der Stanford University sozusagen überrannt wurde, bekam der Trend einen Namen: MOOCs. Weitere Initiativen, Angebote und Startups schossen wie Pilze aus dem Boden. Oder beliebte Plattformen wie Youtube entwickelten sich immer mehr in diese seriösere Richtung, indem sie fester Bestandteil vieler Kurse wurden und mit der eigenen Plattform-Reichweite zur weiteren Verbreitung der Lehr-Inhalte beitrugen – sozusagen ein sich selbst verstärkender Effekt.
Drei Problemfelder blieben zunächst bestehen: die Linearität zwischen Lehrendem und Lernendem ohne Rückkanal und Vernetzung unter den Studierenden (dem wurde mit der Entwicklung sogenannter cMOOCs begegnet), der Monetarisierung und die fehlenden Möglichkeiten, einen vorzeigbaren Abschluss im Rahmen einer universitären Ausbildung vornehmen zu können. Aber auch Letzteres soll bald der Vergangenheit angehören, so bietet ab 2014 das Georgia Institue of Technology zusammen mit der Plattform Udacity und AT&T einen zweijährigen Online-Master-Studiengang an.

Fachverlage – die Einschläge kommen näher
Wer in einem Fachverlag arbeitet, wird bei dem Thema MOOCs zunächst eher mit der Schulter zucken oder die Entwicklung hin zu einem breiteren und höheren Wissens-Niveau begrüßen. Gegen gebildetere Leser spricht ja im ersten Moment nichts bis wenig. Dennoch muß man im Auge behalten, welche Rolle Fachverlage, die hier mit Angeboten aktiv sind, in nicht allzu ferner Zukunft spielen, sollten sich die Rahmenbedingungen des bisherigen wirtschaftlichen Operierens massivst verändern. Und erste Anzeichen gibt es dafür, etwa Initiativen wie OER (Open Educational Ressources), die Lehr- und Lernmaterialien frei zur Verfügung stellen sollen und etwa von der Europäischen Union stark gefördert werden. Greift dies zunächst nur im Rahmen der Rolle, die Wissenschaftsverlage spielen, gibt es im Bereich des Fachwissens auf breiter Basis kommerzielle Angebote und Interessen, die mit denen von Fachverlagen sicher konkurrieren. Ganz klar muss man hier auch Apple im Auge behalten. Deren MOOC namens iTunes U (wie „University“) ist zwar schon 2007 ins Leben gerufen worden, kann aber durch den Trend zu digitalem Lernen massive Zuwächse verzeichnen – Apple glänzte gerade in der Ära Steve Jobs durch weitsichtige Innovationen, die sich jetzt auszahlen könnten. Zumal Apple mit iBooks Author auch gleich eine Plattform speziell zur Erstellung von Lehr-Materialien zur Verfügung stellt, die durchaus auch in der als konservativ eingeschätzten deutschen Professorenschaft aufgrund des einfachen Handlings immer mehr Anhänger findet. Hier könnten sich also durchaus große, auch weltweit operierende Plattformen bilden, die von nutzerzentrierter Usability über die Erstellung von Content bis hin zur Distributions- und Vernetzungsplattform und bequemen Transaktion alles Nötige bieten, was ein zukünftiger wissbegieriger Schüler, Student oder Fortbildender benötigt. Und zwar abseits der Verlage, die diesen Content heute zumeist in Form von gedruckten Büchern oder Zeitschriften anbieten. Wissen und der Zugang dazu ist eine monetarisierbare Ware, ein Zukunftsmarkt – und von diesem Kuchen wollen nun auch andere als die traditionellen Markteilnehmer ein großes Stück.
Insofern müssen sich Verlage nicht nur ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen. Durch Kooperationen können hier auch Praxis-Erfahrungen mit MOOCs gesammelt werden, zusammen mit Autoren und Bildungseinrichtungen, um zu gegebener Zeit auch sinnvolle, monetarisierbare Geschäftsmodelle im Bereich des digitalen Lernens und Fortbildung aufzubauen. Bevor es (mit Sicherheit) andere tun.

Anbieter von MOOCs
Die drei größten weltweit agierenden Plattformen sind Coursera, udacity und edX, allesamt aus den Vereinigten Staaten. An allen sind die großen amerikanischen Universitäten wie Stanford, Yale oder Harvard involviert, aber etwa auch das MIT. Deutsche Universitäten sind nur wenige vertreten. Die Themenbreite reicht dabei von Informatik über Betriebs- und Volkswirtschaft bis hin zu Philosophie- und naturwissenschaftlichen Vorlesungen.
Hierzulande gibt es zwei größere Plattformen, iversity, ein privatwirtschaftliches Unternehmen und OpenHPI, ein von der Uni Potsdam und dem Hasso-Plattner-Institut entwickeltes Angebot.

Was ist der Unterschied zwischen xMOOCs und cMOOCs?
xMOOCs bestehen im Endeffekt aus einer digitalen Vorlesung, die frei im Web zugänglich ist, mit Text-, Bild- und Video-Elementen, Tutorials, Fragerunden und Prüfungseinheiten. Unter dem Label „Education for everyone“ gibt es hier keine Beschränkung der Teilnehmerzahl, was erwartungsgemäß die Interaktion mit dem Lehrenden als auch untereinander stark einschränkt.
cMOOCs („c“ steht für „connectivity“) arbeiten eher nach dem „Klasse-statt-Masse“-Prinzip, sind eher Workshops und Seminare statt Massenveranstaltung und noch am ehesten dem klassischen Universitätsbetrieb nachgebildet. Kennzeichen sind dabei neben dem bekannten Vorlesungsprinzip ein hoher Vernetzungsgrad der Studierenden und des Lehrenden durch Social Media-Kanäle.

Ununi.tv – Lernen wird wild
ununi.tv ist ein Projekt aus dem universitären Umfeld, ins Leben gerufen von Wolfgang Gumpelmaier, Anja C. Wagner, Fabian Topfstedt und Bertram Gugel unter dem Slogan „Unkonferenz am Unort zur Unzeit“. Mit dem BarCamp-ähnlichen Prinzip wird hier das tradierte Lernen auf den Kopf gestellt: „Ununi.tv ist als virtuelle Hochschule für Film, TV und Web konzipiert, die allen Interessierten, MedienmacherInnen und QuereinsteigerInnen auf Basis von Google+ Hangouts eine Möglichkeit bietet, sich umfassend an der Schnittstelle von Internet und Bewegtbild weiterzubilden. Wir haben versucht die Barcamp-Idee ins Internet zu übertragen und stellen mit unserer Plattform eine Infrastruktur für alle Netzarbeiter/innen zur Verfügung, die bereit sind, eine neue Form des Live-Online-Lernens und kontinuierlichen Diskurses zu erfahren. Jeder kann also auf ununi.tv aktiv werden. Wir sind Publikum und Macher/innen in Einem“. Finanziert werden soll das Ganze durch kostenpflichtige Abonnements und im Rahmen einer Crodfunding-Kampagne.

Vielleicht wird so die Zukunft des Lernens – wild.

Der Artikel „MOOCs – wenn das Lernen digital und öffentlich wird“ erschien zuerst im SZV Impresso
Bildquelle Teaser: JaseCurtis
Bildquelle großes Bild: Duke Yearlook
Google

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