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Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist Content Marketing

Content Marketing geistert als vermeintlich heilsbringendes Schlagwort durch die Fachpresse, Agenturen scheinen nach Social Media ihren nächsten Goldesel gefunden zu haben und Redakteure fürchten durch die Verbindung der Elemente „Inhalt“ und „Marketing“ eine Verwässerung ihrer Kernkompetenz. Grund genug, sich einmal in Ruhe die zugrundeliegenden Entwicklungen anzusehen und die Möglichkeiten für Verlage im neuen Zusammenspiel mit ihren Industriepartnern auszuloten.

Die Sinn-Krise der Online-Werbung
Dass stumpfe digitale Werbung den Rezipienten nicht mehr im gewünschten Maß erreicht ist unter dem Schlagwort „Banner Blindness“ keine neue Einsicht. Aber selbst wenn Nutzer diese Werbung noch wahrnehmen ist dies kein Garant für den werblichen Erfolg. InsightsOne, amerikanischer Daten-Analyst, führte vor kurzem eine Studie zur Wirkung von Online-Werbung durch, die in ihren Ergebnissen symptomatisch für eine ganze Werbegattung gesehen werden kann: „Von den 91 Prozent der US-Amerikaner, die angaben, sie würden mit Online-Werbung “zugemüllt”, erklärten 14 Prozent, sie würden das betreffende Produkt danach nicht mehr nutzen. 13 Prozent erklärten einen Boykott des betreffenden Unternehmens und 60 Prozent gaben an, sie würden das Abo für weitere E-Mails kündigen.“ Konkret bedeutet dies einen immensen Schaden für Marken und Produkte, zeigt aber auch, dass die Form der Online-Werbung, zu der Unternehmen (und damit indirekt Medien) fähig sind, in Zeiten des aufgeklärten, kommunikationswilligen und mehr und mehr anspruchsvoll-individualistischen Kunden nicht mehr funktioniert. Und der Prozeß ist auch nicht umkehrbar.

Mobile macht Werbung nicht besser – vor allem für die Werbetreibenden
Die Zuwachsraten der mobilen Zugriffe durch Smartphones und Tablets sind mehr als beeindruckend – dummerweise folgen dem die zu erlösenden mobilen Werbeerlöse nicht, selbst die oft sehr euphorisch prognostizierende Unternehmensberatung PwC sieht in ihrem „Media and Entertainment Outlook“ eher verhaltenes Wachstum. Grund: die tradierten (Banner-)Werbeformen funktionieren auf diesen Endgeräten noch weniger als im klassischen Internet, was etwa den Professor für Marketing an der Harvard University, Sunil Gupta dazu bewog, Medien den Tipp „Think Apps, not Ads!“ auf den mobilen Weg zu geben. Für kleinere Fachverlage sicher kein ad hoc umsetzbarer Tipp.

Suchmaschinen wollen relevanten Inhalt, keine pseudo-optimierten Keywords
Was in Suchmaschinen nicht gefunden wird, gibt es nicht. Suchmaschine ist aber hierzulande ein Synonym für – genau, Google. Möglicherweise wird Facebook als größtes soziales Netzwerk auch als Finde-Maschine für Inhalte dem Platzhirsch Konkurrenz machen, im Prinzip wissen aber beide, dass ihre Kunden vor allem eines wollen: relevanten Inhalt. Daraufhin werden Such-Algorithmen trainiert, Semantik wird eine neue, zu erlernende Fremdsprache werden, der Google Knowlegde Graph zeigt, wohin die Reise geht.

Klassische Online-Werbung ist nicht tot, aber sie riecht komisch
Welche Auswirkungen haben diese drei auf den ersten Blick nur lose zusammenhängenden Faktoren auf das zukünftige Online-Marketing (und mit Sicherheit auch auf Print-Werbung)? Sie zeigen symptomatisch, dass ein potentieller Kunde im Zeitalter der Reizüberflutung durch klassische Werbeformen und –modelle etwas anderes will als ein stupides Abarbeiten des 4P-Modells, das ausgedient hat. Er will Information, Unterhaltung, Kommunikation, Convenience. „Markets are Conversations“, wie schon im 10 Jahre alten Cluetrain Manifest nachzulesen ist. „Nutzer suchten nicht nach Marken, sondern nach Lösungen und guten Inhalten. Wenn sie diese fänden, seien sie auch offen für Markenbotschaften und eine weitere Interaktion.“ meint etwa Thomas Knüwer, Geschäftsführer von kpunktnull und mit Indiskretionehrensache.de einer der deutschen Topblogger.
Suchmaschinen, die digitalen Tore zum Kunden, haben diese Entwicklung zuerst erkannt. Aber jetzt folgt auch die Markenindustrie diesem Trend.

Marken werden Medien
Beispiele von Coca-Cola mit eigenen Info- und Unterhaltungs-Portalen oder spektakuläre Projekte wie „Red Bull Stratos“ scheinen auf den ersten Blick weit weg von der gewohnten Arbeitsteilung zwischen Medien und Markenindustrie. Aufhorchen sollte man aber, und zwar nicht nur im Bereich Corporate Publishing, wenn Red Bull einen erfolgreichen Buchverlag, nämlich Ecowin, übernimmt: „…[Der] Verlag wird in die Red Bull Media House Publishing GmbH eingegliedert. Dort werden derzeit die periodisch erscheinenden Druckwerke „Red Bulletin“, „Servus in Stadt und Land“, „Terra Mater“ sowie das „Seitenblicke“-Magazin verlegt. Die Magazine „Servus Gute Küche“ und „Servus Kinder“ sind die jüngsten Produkte, die Red Bull aktuell auf den Markt bringt.“ Das ist für einen Getränkehersteller ein veritables publizistisches Portfolio. Und wirft ein bezeichnendes Licht auf den Corporate Publishing-Bereich.

Was ist Content Marketing?
Varietäten und Skalierungsunterschiede sind selbst innerhalb des Content Marketings groß, aber ganz prinzipiell kann gesagt werden, daß Content Marketing im Gegensatz zu rein werblichen Techniken wie TV-Spots, Print-Anzeigen oder Bannern nicht Produkte in den Mittelpunkt seiner (meist auf Eigenschaften und Preis fixierten) Werbebotschaft stellt, sondern sich über nutzwertige Informationen und Unterhaltung definiert. Schwerpunktkanal vieler derzeitigen Aktivitäten ist Online, letzten Endes aber ist das Instrument Content Marketing kanalunabhängig.
Allerdings hat Content Marketing online den Nebeneffekt, mit etwa durch sinnvollen Keyword-Einsatz optimierten Texten bessere Suchmaschinenplatzierungen zu erzielen und für eine bessere Auffindbarkeit und Sichtbarkeit zu sorgen.
Content Marketing ist als singuläres Instrument im Unternehmenskontext sinnlos – es geht darum, durch Inhalte, die der Leser in Zeiten der Aufmerksamkeitsverknappung positiv rezipiert, eine „Geschichte zu erzählen“, die den Leser packt, interessiert, amüsiert, zur Interaktion bringt. Und gerade Interaktion und Kommunikation sind in den immer wichtiger werdenden Bereichen der sozialen Medien/Kanäle am Ende des Tages entscheidend, man bekommt hier also sich gegenseitig verstärkende Effekte: gute Geschichten, die gerne weitererzählt werden. Und gute Geschichten verkaufen Produkte – dies können Medienhäuser vom Kaufmann nebenan lernen.

 

Corporate Publishing gerät unter Druck
„…abseits von SEO und Co. verbinden viele Marketingverantwortliche Content Marketing mit dem Wunsch, die Konsumenten anders als bisher anzusprechen. Da klassische Werbung belegbar zunehmend an Wirkung verliert, werden relevante Inhalte immer stärker zur Neukundengewinnung eingesetzt.“ Das meint zumindest der Vorstand des Forum Corporate Publishing, Plattform und Interessenvertreter der Corporate Publishing Dienstleister, der ansonsten dem Thema Content Marketing eher verhalten gegenübersteht. Und eigentlich sollten klassische CP-Unternehmen ebenso wie Verlage die nativen Ansprechpartner in Sachen Inhalt sein – sind es aber nicht mehr uneingeschränkt, wie man an den publizistischen Tätigkeiten von Red Bull und anderen sieht. Immer mehr Verlage, auch in vermeintlich mittelständischen oder kleinen Nischen, berichten vom Auf- und Ausbau der Content-Einheiten bei ihren jeweiligen Industriepartnern.

Von der Reichweitenvermarktung zum Inhalteanbieter auf Augenhöhe
Wenn der Nutzer, die Suchmaschinen als Zugang zu ihm und die werbetreibende Industrie als Kunde der Verlage neue werbliche Modelle einfordern, sollten Verlage dem nicht nur folgen sondern auch eine treibende, aktive Rolle dabei spielen. Denn wenn Verlage eine Kompetenz haben, dann ist es die Generierung von nutzwertigem Inhalt. Verlage nehmen eine Schlüsselrolle ein in der Vermittlung zwischen Kunde und Industrie. Das meint auch Sam Slaughter, Journalist und Kenner der Werbeindustrie: „Even brands that don’t have dedicated editorial teams have begun tapping journalists to create “native ads,” in many ways indistinguishable from the journalistic content along which they appear […] The Atlantic – at 156 years young, hardly an example of a new media johnny-come-lately – has created Atlantic Media Strategies, an internal team dedicated solely to creating agency solutions for brands.“

Das digitale Geschäftsmodell von Verlagen ist weder in gedruckter Form noch Online nur auf die Vermittlung und den Verkauf nackter Reichweite begründet. Im Gegenteil: Themen und Geschichten verkaufen zukünftig Produkte und einige Verlage gehen diesen Weg bereits, wohl wissend um den Konflikt zwischen marketing- und redaktionell getriebenem Inhalt. Die Befürchtung mancher Redakteure, dass eine Verwischung zwischen redaktionellem und vermarktungsgetriebenem Inhalt Probleme aufwirft ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Letzten Endes will auch der Leser wissen, welche Intention hinter welchem Text steht. Und Verlage müssen aus dem Bündel an Möglichkeiten die für die jeweilige Zielgruppe richtige herausfinden. Hier müssen neue, innovative Wege gefunden werden – oder mitunter Altvertrautes nur sinnvoll und kreativ zum Einsatz kommen.

Tools für Content Marketing

Präzisierend hier der Hinweis, dass es sich hier weitgehend um digitale Werkzeuge handelt. Und es mag auch nicht verwundern, „alte Bekannte“ vorzufinden – es geht ja nicht darum, das Marketing- und Kommunikations-Rad neu zu erfinden, sondern vorhandene Mittel gebündelt und feinjustiert neu auszurichten – im Sinne des Nutzers wie der werbetreibenden Industrie. Wer als Verlag oder reiner Corporate Publisher diese Kanäle sinnvoll abdeckt und anbietet wird kaum Gefahr laufen, den Werbekunden an dessen neue Content Unit zu verlieren.

Webseite / Blog / Newsletter: Lösungen statt Produkte, Unterhaltung statt Preisinformationen oder fade Produktinformationen. Gerade Artikel in Blogs können auch persönlich, meinungsbildnerisch gefärbt sein.
Videos: Im Youtube-Zeitalter (der im übrigen meistgenutzten Suchmaschine der Welt) geht kein (Informations)Weg am Bewegtbild vorbei, stellt aber klassische Print-Verlage oft vor ganz neue, nicht nur technische Herausforderungen. Hier gilt es mitunter auch mal, pfiffige kurze Inhalte vor Studio-Qualität zu setzen. Sie sind ja schließlich nicht das ZDF!
Whitepaper, Fallstudien, Anleitungen: Hier steht der Nutzwert, die Information klar vor dem Unterhaltungswert und vermittelt Kompetenz. Gleichzeitig eines der sinnvollsten Instrumente zur Generierung von Leads.
Infografiken: Auch wenn hier oft nicht alles Gold ist was glänzt – gerade durch die grafische Verdichtung von Informationen kommt man der veränderten Informationsaufnahme (immer weniger Zeit, immer mehr Daten) entgegen und schafft auch ein virales Element.
Webinare: die digitale Konferenz. Hier kann, auch mit direkten Rückkanälen, die Kompetenz eines Industrieunternehmens sehr schön aufgezeigt werden, ohne gleich in eine werbliche Ansprache zu verfallen. Präsentationen können mehrfach publizistisch genutzt werden, auf Plattformen wie Slideshare oder in Form eines Artikels.
E-Books: Warum nicht Informationen sammeln und als E-Book anbieten? Über die großen Distributoren wie Apple und Amazon können völlig neue Nutzergruppen (und Kunden für den Industriepartner) erschlossen und publizistische Kompetenz aufgezeigt werden.
Veranstaltungen, Roadshows, Hausmessen: im Prinzip das lokalisierte Verlagsmedium. Während Verlage etwa in Zeitschriften, Websites etc. Leser/Nutzer und Industrie zusammenbringen passiert dies hier an einem bestimmten definierten Raum zu einer definierten Zeit. Ähnlich wie bei Webinaren kann durch Vorträge Kompetenz des Vortragenden auch auf die dahinterstehende Marke / das Unternehmen ausstrahlen.

 

Der Artikel erschien zuerst im SZV impresso des Sudwestdeutschen Zeitschriftenverleger-Verbands e.V.

Bildquelle: Wikipedia

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4 Kommentare

  1. Was für ein Zufall! Gerade eben erzähle ich bei FB meine Bloggeschichte neu, wie es in der Belle Époque wohl gerochen haben mag und wie ich auf die Jagd nach diesen Düften ging. Weil eines meiner Bücher in der Zeit spielt.
    Und darum fehlt in diesem Artikel ein ganz wichtiger Hinweis: Verlage müssen viel stärker mit ihren AutorInnen kooperieren. Denn die sind es, die die Geschichten erzählen können! Keiner kennt das Umfeld von Buchinhalten besser als diejenigen, die diese Bücher schöpfen. Die das mit dem „Content-Marketing“, pardon, Geschichtenerzählen, zum großen Teil sogar längst tun: In eigenen Blogs, bei Auftritten, in der Presse. Würde solche Arbeit wertgeschätzt (nicht nur mit einem feuchten Handschlag), könnten beide Seiten enorm profitieren.

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