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Der Fluch der permanenten Verfügbarkeit von E-Books

Bamboo arrowsBereits vor einigen Tagen hat Thomas Knip (Autor und seit über 10 Jahren Verleger des Digital-Verlags story2go) unter dem Titel „Schade, dass eBooks nicht ausverkauft sein können“ auf Johannes Haupts lesen.net-Blog einen Gastbeitrag publiziert. Tenor: „Es gibt keinen zwingenden Grund, warum alle eBooks immer und überall verfügbar sein müssen. Es täte ihnen – und ihrer Aufmerksamkeit bei Lesern – vielleicht ganz gut, wenn sie es nicht wären.“ Er empfiehlt eine Kuratierung – unter anderem kommt hier auch wieder der Buchhandel ins Spiel, denn „Ständige Verfügbarkeit führt zu Entwertung“. Nun ist er also da, der unendliche Long Tail. Dumm gelaufen?

Prinzipiell ein durchaus hochinteressanter Gedanke, geht es doch auch um eine durch einen Kunden ohne irgendwie geartete Hilfsmittel nicht mehr erschließbare Angebotsfülle an digitalen Inhalten. Im Gegensatz etwa zu den alten Tante-Emma-Läden (ich wollte einmal bewußt nicht den Buchhandel, genauer Sortiment (sic!) als Beispiel heranziehen). Begrenzte Raumfläche, links Regale, rechts Regale, vorne Wurst und Käse. Schluß. In wenigen Minuten hat man sich einen treffsicheren Gesamteindruck des Warenangebots verschafft.

Im Gegensatz dazu die endlosen digitalen Waren-Regale. Und nicht ganz zufällig wird immer weniger die reine Technik, das Plattform-Handling im Kontext E-Book diskutiert, sondern Discoverability, Marketing – schlicht aus der Erfahrung heraus, die eigenen Produkte in der schieren Masse an E-Books untergehen zu sehen. Nur wenige Meter links vom E-Book muss man sich nur einmal mit App-Entwicklern unterhalten, die exakt diesselben Probleme haben und mehr schlecht als recht mit verschiedensten Methoden (richtiger Zeitpunkt, schnell hohe Downloadzahlen, Blogger-Relations) operieren aber doch nur erfolgreich sind, wenn sie als neu und empfehlenswert im Storefront erscheinen.

Der Kampf um den „Platz an der Sonne“ wird dabei oft auch mit etwas halbseidenen Methoden geführt. Etwa mit dem französischen Startup MyKindex, dass aus der erfolgreichen Platzierung in den Kindle Topsellern ein Geschäftsmodell gemacht hat, indem Leser aufgefordert werden, ein zu promotendes E-Book zu kaufen, gegen Geld natürlich. Angeblich sogar ein von Amazon (derzeit noch, vermute ich) geduldetes Vorgehen. Money makes the world go round.

Aber zurück zum Thema – ist für das ganze Dilemma der „Nicht mehr Lieferbar“-Status für E-Books eine Lösung?
Verknappung als Lösungsansatz?

Ganz grundsätzlich ist doch die permanente Verfügbarkeit ein Segen. Nichts Schlimmeres, als ein gewünschtes Gut in den eigenen virtuellen Fingern halten zu wollen und dann steht in großen dicken Buchstaben „Nicht mehr lieferbar“. Den Jüngeren unter den Lesern dieses Blogbeitrags würde ein unelegantes „WTF?“ über die Lippen kommen, alle anderen hätten sofort einen ähnlichen Frustrationslevel vergleichbar dem zähneknirschenden Betrachten der berühmten „404“-Fehlermeldungen bei Websites. Sorry, Pech gehabt, kommen Sie nächstes Jahr wieder – oder (fatalerweise!) gehn Sie doch zur Konkurrenz! Dies passiert nämlich stante pede.

Eine Entwertung durch permanente Verfügbarkeit, wie von Thomas Knip angeführt, scheint ebenfalls nicht in Sicht. „Die ständige Verfügbarkeit jedes Titels führt zu dessen (unterbewussten) Entwertung. Menschen sind ihrem Wesen nach nach wie vor Jäger und Sammler. Was digitale Medien und gerade auch eBooks betrifft, entwickeln wir uns zu bequemen Ansammlern, vor allem an kostenlosen oder günstigen Titeln. Und horten sie, ohne sie vielleicht jemals zu lesen.“ Korrekt, viele Bewohner dieses Planeten sind Jäger und Sammler – auch und gerade der homo bibliphilus. Und mal ehrlich: „Horten, ohne zu lesen“ – das gab es in der guten alten gutenbergschen Zeit ja auch schon in erheblichem Maße. Gut, hier kam dann oft noch das Element des Statussymbols hinzu, aber das ist eine andere Geschichte.

Vielleicht sollten wir uns hier einfach auch ganz grundsätzlich den Luxus gönnen und den Sprung von der vertrauten Buchwelt in die Welt des digitalen Netzes wagen. Bei Websites käme kein Mensch auf die Idee, bewußt Seiten offline zu stellen um ihren „Wert zu erhöhen“. Im Gegenteil, die Angst, bei Google nicht mehr gelistet zu sein, treibt den meisten eher den Angstschweiß auf die Stirn.
Sire, gewähren Sie Kuratierung und Sichtbarkeitsmethoden!

Thomas Knip schreibt zwar unter dem Label „Nichtverfügbarkeit von E-Books“, schlägt weitgehend als Lösungsansatz aber ganz andere Methoden vor: Kuratierung. Dies ist eine ganz andere, extrem sinnvolle und in Zukunft enormst wichtige Erschließungsmethode bei E-Books. Und auch wenn mancher Selfpublisher das auch schon nicht mehr hören mag – die guten alten Verlage sind hier schon einmal Filter Nummer Eins durch ihre Funktion. Weitere Filter, technische wie menschliche, werden sich tiefer ausprägen und -bilden.

Und ein weiteres Element im Kampf um die Aufmerksamkeit des Lesers (und seinen Geldbeutel!) ist eben die Erringung dieser Aufmerksamkeit. MyKindex zeigt – wenn auch auf dreiste Weise – dass es hier einen wachsenden Köcher an Sichtbarkeitspfeilen gibt und viel Energie wird in Zukunft darin fließen von allen Produzentenseiten, der Robin Hood der Sichtbarkeit zu werden.

Aber, mit Verlaub: digitale Güter aus dem Verkehr zu ziehen ist mit Sicherheit kein Pfeil in diesem Köcher.

Bildquelle: Flickr dog.breath

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1 Kommentar

  1. Als professionelle Rechercheuse und oft historisch Arbeitende, bin ich heilfroh über den Segen der neuen Zeit, nicht nur endlich alle möglichen Texte auf theoretisch alle Zeiten verfügbar zu haben, sondern auch immer mehr Inhalte von Museen und Archiven jederzeit aufrufen zu können, ohne dass das Internet platzt. Oder Bücher aus mehreren Jahrhunderten in ein und demselben Shop.

    Als Buchautorin empfinde ich es als Segen, dass ich nicht mehr undurchsichtigen Verramschungsgründen ausgesetzt bin, die mit den einzelnen Titeln kaum noch zu tun haben. Haben wir doch immer mehr große Verlage, wo die Halbwertszeit eines Buchs nur noch Monate dauert! Nicht etwa, weil die Leser das so wünschen, nein, weil dann der Controller vielleicht ruhiger schlafen kann? E-Books kann ich werbetechnisch jederzeit wieder hochreißen, z.B bei neuen Jubiläen, aktuellen Anlässen, sie vermodern nicht. Verramschte Bücher finden als Backlist und E-Book auch bei Verlagsautoren im Self Publishing ein neues Leben. Ich selbst habe mit einem solchen Roman inzwischen nach dem Rechterückfall im E-Book mehr Exemplare verkauft als mein großer Publikumsverlag vorher im TB. Und es gibt nach vielen Jahren immer noch neue Leser! Aber das Buch war verramscht worden. Jetzt lebt es so lange, bis ich es löschen würde. Und das will künftig ich als Autorin entscheiden. Warum sollen mir da andere reinreden?

    Nein, ich glaube nicht ans Verstopfen von Shops. Denn Bücher, die wirklich nicht mehr zeitgemäß sein sollten, die nur noch ihre drei Leser pro Jahr finden, fallen in den Rankings so weit nach hinten, dass sie fast unsichtbar werden. Sie sind keine Konkurrenz. Aber für diese drei Leser können sie ein Segen sein. Auch Verlage wie Suhrkamp halten literarische Werke vor, die längst keinen Profit mehr bringen. Warum wohl?

    Nein, das Internet platzt schon nicht so schnell. Es lebe die Vielfalt. Hoffentlich künftig auch bei einer wie auch immer gearteten Kuratierung.

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