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Projekt SiDiM: DRM bei E-Books und Unmut im Netz

HandcuffsDas Digitale Rechte-Management bei elektronischen Gütern ist, sehr vorsichtig ausgedrückt, ein weites Feld, mit mannigfaltigen Erfahrungen und Erregungen, sei es bei Film, Musik – oder eben dem elektronischen Buch. Viele gute Argumente wurden dagegen angeführt, viele sprechen sich vehement für einen Verzicht auf DRM aus, auch Verlage – was diese oft in eine Zwickmühle bringt, den letzten Endes stehen Verlage ihren Autoren gegenüber in der Pflicht. Und bei allem persönlichen verständnis für DRM-Gegner wäre es für diese sicher auch einmal erhellend, mit einem Autor darüber zu diskutieren, warum man gerade bei seinem Werk auf Schutzmassnahmen verzichtet. Und die Suche geht, weiter, nach der eierlegenden Wollmilchsau des DRM. Neu im Rennen: das Projekt SiDiM.

„Die MVB arbeitet zusammen mit dem Fraunhofer Institut, der Universität Darmstadt und weiteren Partnern der Branche am gemeinsamen Projekt SiDiM (Sichere Dokumente durch individuelle Markierung)“ – so steht es im Beitrag „Unverwechselbare Textmarkierungen − die Lösung?“ zu lesen. Wer genau sind hier die einzelnen Beteiligten?

Die MVB als „Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH“ vertritt hier den Börsenverein, hinter den „weiteren Partnern“ verbergen sich cosee (Fraunhofer), 4Reader (ekz Bibliotheksservice), die Rechtsanwaltskanzlei Notos und die Internet Agentur juni.com. Durch die Partner läßt sich hier also ein weites Themenspektrum abbilden. So weit, so gut.

Interessant wird es bei den Kernfunktionalitäten des Projekts SiDiM – und hier ist der Beitrag im Börsenblatt eher verwirrend. Deswegen sprach ich direkt mit Dr.-Ing. Martin Steinebach von Fraunhofer. Das Watermarking besteht dabei aus einem Texteingriff, versucht aber „semantische Verzerrungen“ zu vermeiden. Entscheidend dürfte hier die Eingriffs-Tiefe sein. das von Martin Steinebach angeführte Beispiel „Schotterstrasse mit ohne Bindestrich“ dürfte noch verschmerzbar sein, wie aber sieht es ein Autor, wenn aus Aufzählungen wie „Karl und Otto“ auf einmal „Otto und Karl“ werden? Oder es noch tiefergehende Eingriffe gibt, erzeugt durch Maschinen-Logik?

Und hier könnte es dann im Diskurs spannend und auch nicht ganz ironiefrei werden, wenn auf der einen Seite Autoren für ihre Werke Schutz fordern, dieser aber für den Endkunden am sichersten durch wie auch immer geartete maschinelle Textveränderungen gewährleistet werden kann, zumal der Leser, ohne das Originalwerk zu kennen gar nicht nachvollziehen kann, was verändert wurde.

Konkret werden laut Martin Steinebach von Fraunhofer auch schon Gespräche und Tests mit Autoren geführt – und bei allem Verständnis verweist Steinebach auf die Geburtswehen des Audio-Watermarking, einer „dezenten Frequenzverzerrung“, denen anfänglich auch gerade die Urheber, sprich die Musiker, sehr kritisch gegenüberstanden. Heute ist dieses Verfahren laut Steinebach Standard.

Standard hin oder her – ein ungutes Gefühl bleibt dennoch beim Thema „Textveränderung“. Das manifestiert sich derzeit auch in vielen Diskussionsbeiträgen im Web oder Blogbeiträgen, etwa durch Mela Eckenfels, die unter dem griffigen Titel „Kopf sucht Tischplatte: Wasserzeichen-DRM“ ihrem Unmut Luft machte: „Autoren, die oft zurecht stolz auf ihre sprachliche Eleganz sind, brauchen sich gar keine Mühe mehr zu geben, denn das wird elektronisch ohnehin noch mal durcheinandergewürfelt. Als Hemingway von einem Interviewer gefragt wurde, warum er den Schluß eines Buches 40 Mal umgeschrieben hätte, was denn das Problem gewesen sei, antwortete Hemingway, er habe Probleme gehabt die richtigen Worte zu finden. Das ist dann alles überflüssig. Das letzte Wort hat die Technik.“ Und ihr letztes Wort ist ebenfalls klar formuliert: „Und nun, damit es alle nochmal verstehen. DRM funktioniert nicht! DRM muß sterben!“

Luise Schitteck beleuchtet die DRM-Problematik aus der Sicht des Buchhandels, der ja, quasi direkt am Kunden, hautnah mit durch DRM verursachten Problemen tagtäglich zu tun hat. Zu SiDiM ist ihr Urteil ebenfalls glasklar: „Bei den Beispielen, die das Fraunhofer Institut veröffentlicht hat, wird zum Beispiel statt “unsichtbar” in einer Kopie des Textes “nicht sichtbar” verwendet. Anhand dieser einmaligen Änderung im Text liesse sich zurückverfolgen, welche Kopie da als Piratengut im Internet treibt. Muss ich tatsächlich betonen, was mich daran stört? Veränderte Texte? Bitte?„.

Mit einem sehr persönlichen Statement von Luise Schitteck sei auch dieser Blogpost beendet: „Ich fänd’s, total naiv und aus meiner Sicht als Servicekraft (das schreibe ich übrigens ohne Bitterkeit), schön, wenn man meinen Kunden und Kundinnen nicht gleich kriminelle Energie unterstellte.“

Bildquelle: Flickr The Comedian
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10 Kommentare

  1. Dogmatische Extrempositionen bringen uns nicht weiter.
    Grundsätzlich kann die Verzerrung zwischen
    – Null (keine Textänderung) und
    – unendlich (10.000 Affen hämmern auf 10.000 Tastaturen)
    laufen
    Auch die Texte lassen sich in ein Spektrum einordnen
    – Ge- und Verbrauchstexte (les´ich am Strand, gerne aus der Bücherei, denn ein zweites Mal will ich dieses Buch nicht mehr lesen)
    – Nobelpreis-Literatur (der erwähnte 40mal umschreibende Hemingway)

    Meiner Meinung nach verträgt die solide Hausmannskost mehr Verzerrung als ein Hemingway.
    Bei Markus Heitz „Die Zwerge“ ist es mir egal, ob Tungdil und Boindil losstürmen und die Orks fertigmachen oder ob Boindil und Tungil losstürmen.
    Das letzte Wort in solchen Sachen sollte natürlich der Autor haben. Nur er kann abwägen wie wichtig ihm 100% Werktreue vs. möglicher Einnahmeverluste ist. Ich als Autor würde mir einfach ein „verzerrtes“ Kapitel geben lassen und dieses lesen. Wenn mir die Änderungen auffallen, war´s zu viel und der Regler muß ein wenig zurückgedreht werden.
    Die DRM-Verzerrung muß schon flexibel an das jeweilige Buch anpaßbar sein.
    Ich kann nur als Kunde (Leser) sagen, daß ich bei den Büchern, die ich lese keine Probleme hätte eine solche Maßnahme zu akzeptieren.
    Meine Vermutung: Bevor mein Lesespaß leidet hat der Autor längst „Stopp“ gerufen, weil ihm die Änderungen zu weit gehen.
    Ich würde deses Verfahren jedenfalls nicht – wie manche Kommentatoren auf Twitter – kategorisch ablehnen.

  2. Genau so ist es. Man unterstellt dem KUNDEN kriminelle Energie. Denn nur der Pirat wird den Text in Zukunft unverstellt lesen können. Ehrliche Kunden sind wieder am Arsch.

  3. Vielleicht kann jemand (der BOEV) die ganze Sache mal juristisch betrachten. Ich möchte mal anzweifeln, dass die Shops, welche diese Technologie einsetzen, von den Verlagen die Nutzungsrechte erworben haben, ihre Texte inhaltlich zu verändern, die Verlage dieses Recht bei den Autoren eingeworben haben. Damit wird die Sache doch total, also insgesamt hinfällig, oder wo ist mein Denkfehler? Oder hat man beim Fraunhofer Institut nicht über diese Dinge nachgedacht?

  4. Kleine Textänderungen mögen auf dem ersten Blick harmlos und sicherlich auch vertragl. mit dem Autor regelbar sein. Für Belletristik, mal ganz abgesehen, dass die ja Gegenstand von Texteditionen, Literaturwissenschaftlichen Arbeiten etc. sein könnte, ist es vielleicht vertretbar = Allgemeingebrauch.

    Es wird nur schwierig, wenn ein Wissenschaftler aus diesem Werk zitieren möchte. Ein Wörtliches Zitat heißt, dass dieses Zitat Buchstabe für Buchstabe mit der Textfassung übereinstimmen muss. Da wird es schwierig, wenn in seinem Exemplar im Vergleich zu einem anderen, plötzlich ein anderes Wort steht, der Zeilenumbruch in einem Gedicht verändert wurde oder eventuell auch nur ein Komma verschoben ist, z.B. in einer Ziffernfolge, die die genaue Dosierung eines Medikaments angibt. Damit werden diese in Beweisschwierigkeiten gebracht, sollten sich daraus unangenehme Folgen ergeben.

    So richtig durchdacht erscheint mir dieses Konzept noch nicht.

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