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Verlage sollten Geschichtenerzähler werden – Interview zum Thema Content-Marketing

Speaker’s corner, Hyde Park, London UKAufgrund meines letzten Blog-Posts zum Thema Content-Marketing wurde ich von der Zeitschrift „Letter„, dem Informations-Service der Deutschen Fachpresse, wegen eines schriftlichen Interviews angefragt. Dies führte Karin Hartmeyer von der Deutschen Fachpresse routiniert und humorvoll durch (wer mit mir zu tun hat braucht Humor), aufgrund der Platzbeschränkung wurden aber nur Teile übernommen – weswegen ich mir hier die Freiheit nehme, den kompletten Text zu veröffentlichen.

Karin Hartmeyer: Im breit gefächerten Spektrum neuer Werbeformen wächst zunehmend die Bedeutung von Content-Marketing. Wie definieren Sie den Begriff (auch in Abgrenzung zu Advertorial etc. )

Steffen Meier: Content-Marketing ist die schlaue Schwester des gewohnten Produkt-Marketings und der pfiffige Schwipschwager des Corporate Publishing. Will heißen: keine werblichen  Produktbewerbungen, sondern Vermittlung der eigenen, oder im B2B-Bereich, fremden (Produkt-)Kompetenz durch relevanten Inhalt.  Themen und Geschichten verkaufen in Zukunft Produkte, nutzwertig statt werblich wird das bestimmende Thema. Primärplattform ist dabei das Internet, worauf ich mich im Folgenden auch beziehe, wobei sich vieles auch auf den klassischen Print-Bereich übertragen läßt.
Das Fatale an solchen Entwicklungen ist, dass wir sie gerne unter dem Aspekt „Buzzword“ oder dem armen Paarhufer, der gerade durch ein Dorf getrieben wird, abhaken. Wenn das Thema wirklich so banal und einfach ist, frage ich mich, warum nicht mehr Verlage dies im Sinne ihrer Werbekunden anbieten.

Karin Hartmeyer: „Wer fantasielos agiert müsse sich nicht wundern, wenn sich niemand für dessen Werbung interessiert“, meinten Sie kürzlich und kritisierten eine Einfallslosigkeit der Marketing-Strategien vieler Medienhäuser. Haben herkömmliche Produktplatzierungen endgültig ausgedient?

Steffen Meier: Ich habe das Ganze eher unter dem Aspekt gesehen, was Fachverlage im Digitalen ihren Werbekunden anbieten. Natürlich gibt es punktuell fantasievolle Modelle, aber im Kern und in der Masse bespielen wir doch das Geschäftsmodell der Reichweitenmonetarisierung.  Auf gut deutsch: unsere mühsam errungene Zielgruppenreichweite nutzen wir für produktnahe Leads – die der Nutzer schon gar nicht mehr wahrnimmt, siehe etwa das Thema „Banner-Blindness“. Mit diesem Geschäftsmodell stehen wir aber in direkter Konkurrenz zu großen „medienfernen“ Portalen, Suchmaschinen etc. Unser eigentliches Pfund, den fantasievollen Umgang mit Inhalten, das Wissen über unsere Leser bzw. Nutzer, spielen wir dabei nicht aus.
Erschwerend kommt hinzu, daß die Industrie, die bisher über uns den Zugang zu ihrem Kunden gesucht hat, diese Veränderung seitens des Kunden ebenfalls aufmerksam registriert und digital durchaus die Möglichkeit hat, unter Umgehung des Flaschenhalses Fachmedien  selbst solche Content-Angebote aufzubauen, wenn wir Verlage dies nicht rechtzeitig tun.

Karin Hartmeyer: Auf welche Weise wird Content-Marketing von Unternehmen im deutschsprachigen Raum aktuell am häufigsten eingesetzt?

Steffen Meier: Content-Marketing heißt Geschichten erzählen im Sinne des Cluetrain-Manifest: „Markets are conversations“.  Und diese Konversation wird im Moment mehrheitlich in sozialen Netzwerken, auf Blogs etc. bespielt. Das heißt aber nur, dass viele Plattformen, die wir Verlage bisher betreiben, nicht wirklich kommunikationsfähig sind, sondern eher eindirektional.  Das sollten wir ändern, denn schließlich wollen wir diese Geschichten, diese Kommunikation, die am Ende des Tages auch zu Monetarisierung führen sollte, bei uns stattfinden lassen.

Karin Hartmeyer: Gutes Marketing braucht nicht nur guten Content, sondern auch die Möglichkeit, diesen optimal zu präsentieren, also der jeweiligen Zielgruppe möglichst genau diejenigen Inhalte anzubieten, die sie interessieren. Bieten sich hierfür die Medien von Fachverlagen nicht als optimale Kanäle an?

Steffen Meier: Natürlich. Das Grundproblem jedweder Information im Internet ist doch,  dass der Nutzer nicht weiß, ob er ihr „trauen“ kann. Nicht umsonst reden wir ja, wenn es um die Relevanz und Stärken von Fachverlagen geht, über die Themen Verifizierung und Kuratierung. Gerade Fachverlage mit starken Marken haben hier einen Vorteil in ihren Zielgruppen.

Speaker's Corner

Karin Hartmeyer: Warum tun sich dann viele Fachverlage noch schwer damit ihre Plattformen als attraktive Content-Marketing-Umfelder zu nutzen?

Steffen Meier: Im letzten Jahrtausend war die klassische Aufteilung in Redaktion und Anzeigenbereich ja schon von einer tief empfundenen Haßliebe gekennzeichnet. Aber die Trennlinie war klar: hier der Inhalt, da die Anzeige. Erste Unschärfen wie Advertorials oder nutzergenerierten Inhalten griffen die redaktionelle Kompetenz an. Und wenn nun etwa unter einer Zeitschriftenmarke eigenredaktionell erstellter Inhalt gleichberechtigt neben Industrie-Inhalt steht, sind Diskussionen um die eigene inhaltliche Kompetenz unausweichlich – und auch sinnvoll. Hier muß mit Fingerspitzengefühl ein Gleichgewicht gefunden und gehalten werden, um am Ende nicht als Corporate Publishing-Produkt zu enden. Und dieses Gleichgewicht ist auch wichtig im Sinne des Nutzers, der relevanten Inhalt zwar goutiert, aber schon genau wissen möchte, wer denn dahintersteckt. Das alles ist mit Sicherheit kein einfacher Prozeß, aber ein lohnender.

Karin Hartmeyer: Wie könnte ganz konkret ein Content-Markting-Geschäftsmodell/Wertschöpfungsmodell aussehen, das Fachverlage ihren B-to-B-Kunden anbieten können? Gibt es best-practice-Beispiele?

Steffen Meier: Die Erlösmodelle sind jetzt nicht neu, nur neu gedacht. Was ja bei vielen Modellen so ist: gesunder Menschenverstand und Fantasie reichen hierzu völlig aus. Fachverlage bieten etwa auf der eigenen Plattform einen Zugang zur jeweiligen Zielgruppe – das kann ein klar gekennzeichneter Kanal sein, der über definierte Werbebudgets, generierte Leads, Zugriffe etc. abgerechnet wird.  Darum herum gibt es weitere Erlösmodelle, etwa redaktionelle Leistungen, Aktionenmarketing usw. Vor allem beim Verkauf redaktioneller Leistungen, aber auch insgesamt, ist das Fingerspitzengefühl wichtig, um den eigenen Content nicht zu „verwässern“, aber auch dem Nutzer klar zu kennzeichnen: das hier ist ein Industrieunternehmen, das schreibt (oder schreiben läßt).
Das bekannteste Beispiel unter Medienhäusern ist Forbes mit seinen BrandVoices, aber auch hierzulande gibt es bereits einiges. Spiegel online hat vor geraumer Zeit für einen Automobilhersteller einen Kanal geöffnet, der Bewegtbild als Content einsetzte. IDG hat einige sehr schöne Beispiele, zB auf computerwoche.de einen Kanal „Meet the Experts“mit vielen Artikeln und ganz realen Menschen, denen man dort Fragen stellen kann. Diese Menschen sind aber nicht hauseigene Redakteure, sondern Experten der Firma IBM.
Ein Beispiel, das jeder kennt, ist die gute alte Apotheken-Rundschau in Print. Das ist zwar für den dahintersteckenden Verlag ein Corporate Publishing-Geschäftsmodell, im Kern werden hier aber Geschichten erzählt, also mit relevantem Inhalt Marketing betrieben.
Die Industrie selbst entdeckt dieses Modell, unabhängig von Verlagen, aber auch für sich, und hier sehe ich die Gefahr. Etwa Krones, das „Daimler-Blog“ oder Schwarzkopf, die ganz gezielt auf Produktbewerbung verzichten, sich aber als kompetenter Anbieter von Pflegetipps und Gesprächspartner anbieten und damit den Webauftritten gängiger Modezeitschriften klar Konkurrenz machen.

Karin Hartmeyer: Was wäre ganz konkret dafür nötig?

Steffen Meier: Neben der Plattform und dem monetarisierbaren Zugang zum Nutzer ein gutes redaktionelles Gesamtkonzept, das verkauftes Content-Marketing zuläßt, eine Redaktion, die dies nicht als Konkurrenz auffasst und Sales-Leute, die so etwas verkaufen können. Alles in allem also eher eine mentale Einstellung vorhandenen Personals denn Investitionen in sowieso unbezahlbare Techies.

Karin Hartmeyer: Große Unternehmen haben längst eigene redaktionelle Seiten im Internet. Wie lässt sich das Interesse der werbetreibenden Industrie fördern (oder gar steigern), ihre Werbemittel nicht in die Gestaltung eigener redaktioneller Umfelder zu stecken, sondern in Medienhäuser zu investieren?

Steffen Meier: Medienhäuser haben ja von Geburt an perfekte redaktionelle Umfelder, oft auch einen guten Zielgruppenzugang und eine inhaltlich starke Marke. Das muß ein Unternehmen, daß etwa eine starke Produkt-Marke hat, erst aufbauen. Geht, kostet aber Zeit und Geld. Zudem kann ein Medienhaus redaktionelle Dienstleistung anbieten, inhaltlichen Input geben usw. Mit etwas Fantasie und Proaktivität läßt sich hier viel gewinnen, vielleicht sogar mehr, als es mit konventionellem Produktmarketing, also klassischer Werbung, der Fall ist.

Karin Hartmeyer: Wie lassen sich Paid-Content-Modelle und Content-Marketing-Plattformen für B2B-Kunden sinnvoll miteinander verbinden?

Steffen Meier: Walled Gardens und Content-Marketing müssen sich nicht widersprechen. Wenn sich hinter der Bezahlschranke die richtigen, relevanten Leute für den B2B-Kunden verbergen ist das besser als hohe Feld-Wald-Wiesen-Reichweite. Etwas problematischer mag das der Nutzer sehen, der nicht den Eindruck bekommen sollte, zweimal zu zahlen: einmal direkt für den Zugang zu den Inhalten und indirekt durch Aufmerksamkeit für Inhalte, die bezahlt wurden. Wenn aber der Mehrwert stimmt, geht das Modell auch für den zahlenden Nutzer.

Karin Hartmeyer: Und wohin wird die Reise in Zukunft gehen? Lassen sich bereits kommende Entwicklungen und Trends im Content-Marketing voraussagen? Gilt auch hier, wie so oft, der Blick in die USA als wegweisend?

Steffen Meier: Der Blick über den Teich mag sicher mitunter inspirierend sein. Der Blick dahin, was meine eigene Zielgruppe erwartet, muss aber immer vorrangig sein. Der Kunde des 21. Jahrhunderts möchte keinen Marktschreier sondern einen Geschichtenerzähler. Und wenn dieser eine spannende Geschichte erzählt, bekommt er auch Aufmerksamkeit, Markenbildung, Umsätze. Wir Verlage sollten uns darum bemühen, daß wir dieser Geschichtenerzähler sind.

Bildquellen:
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2 Kommentare

  1. Sorry, Herr Meier, seien Sie mir nicht böse, aber Ihre Antworten erinnern mich an Politiker, wenn Journalisten ihnen klare Fragen stellen … die Politiker dann ausschweifend lange Antworten geben, und sich jeder hinterher fragt: Was wollte mir der Mann (die Frau) überhaupt sagen?

    Damit will ich sagen: Leider habe ich aus dem Interview keine Erkenntnisse gewinnen, weil ich Ihre Antworten nicht verstanden habe. Konkret gefragt: Was für Geschichten sollen (Fach)Verlage denn erzählen?

    Was das Clue-Train-Manifest betrifft, so steht dort ein Satz zwischen sämtlichen Zeilen: Sei authentisch!

    Unter dem Aspekt der Authentizät erzähle ich auf meinen Blogs keine Geschichten (vom Pferd), sondern präsentiere mich so, wie ich bin: als kreative Freiberuflerin mit in vielen Jahren aufgebautem Know-How, Gefühl, Verstand und professionellen Dienstleistungen. Das mache ich auch auf meinem Verlagsblog. Und die Leute mögen das …

    Beste Grüße
    Renate Blaes

    • Nichts zu entschuldigen – wir leben ja vom Diskurs und lernen dadurch. Auch wenn der Vergleich mit einem Politiker durchaus beleidigend aufgefasst werden kann 😉
      Ernsthaft: ich bin gerade unterwegs, werde aber gern die nächsten Tage Stellung dazu nehmen.

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