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Der E-Book-Markt 2011: Der Buchhandel resigniert

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Der Börsenverein lud am 4.6.2012 zum Wirtschaftsgespräch und zur Vorstellung der E-Book-Studie 2012 – beides mit einer gewissen Sprengkraft, was den klassischen Buchhandel angeht.
Foto: Megan

Der zweite Teil einer Analyse des deutschen E-Book-Marktes, unter dem Titel Der E-Book-Markt 2011: Digitale Marktanteile – zwischen Euphorie und Skepsis mit den Zahlen aus Verlagssicht

Unabhängig vom digitalen Markt lohnt ein Blick auf die Verteilung der Vertriebswege 2011 – hier sind die klaren Gewinner der Versandbuchhandel einschliesslich E-Commerce mit +2,3% (insgesamt 17,8%) und auch der Direktvertrieb der Verlage mit +1,7% (insgesamt 19,1 %). Der klare Verlierer: der klassische Sortimentsbuchhandel mit -3% (insgesamt 49,7%). Betrüblich für den Buchhändler – aber schlimmer geht immer…

Sag zum Abschied leise Servus (zum digitalen Markt)

Die E-Book-Studie 2011 trug den Titel „Markt mit Perspektiven“ – das mag für Verlage gelten, die in 2015 mit einem Umsatzanteil von 17% an E-Books rechnen. Für den Buchhandel zeigt sich aber ein deutlich pessimistischeres Bild. So rechnen die Sortimenter in 2015 mit einem Gesamtumsatzrückgang von 16% – dass sich dieser Wert seit 2011 nicht verändert hat, macht die Sache kaum besser geschweige denn optimistischer.

Zwar sind 2012 65% der Sortimente im E-Book-Markt „aufgestellt“ (will heißen, bieten E-Books an, E-Reader – oder beides) und dies soll sich ausweiten auf 71%. Hier kommt dann aber auch schon ein ganz dickes „aber“. Denn diese Investitionsbereitschaft gilt primär für große Buchhandlungen (10 Mitarbeiter und mehr), bei den kleinen (bis 3 Mitarbeiter) wollen 65% auch langfristig nicht in den digitalen Markt investieren.

Während das Sortiment 2011 (für 2012) mit einem Umsatzanteil an E-Books von 1,9% rechneten, sind dies Anfang 2012 nur noch 1,2%. Noch mehr Frustration spricht aus dem Blick auf die Zukunft: während die Sortimenter in 2011 befragt noch mit einem Umsatzanteil von 9,2% (im Jahr 2015) rechneten, sind dies 2012 nur noch 3,5%. Nachgerade fast diametral zu den Prognosen der Verlage. Kristallisiert sich hier der große Verlierer heraus?

Einschub: Der Herr Meier möchte ein Papierbuch kaufen – (k)ein modernes Märchen
Oder: die Nachfrage wäre ja eigentlich da, aber…

Es begab sich an einem Samstag vor nicht allzulanger Zeit, als Herr Meier ein Buch erstehen wollte, um das Wochenende erquicklich zu verbringen. So richtig haptisch, auf Papier gedruckt, olfaktorisch beeindruckend. Eine Buchserie erweckte seine Neugier, zum Einstieg sollte es der erste Band sein (was einer gewissen inneren Logik nicht entbehrt – manchmal ist es eben gut, vorne anzufangen).
Zudem konnte Herr Meier aus dem buchhändlerischen Vollen schöpfen – drei Buchhandlungen vor Ort, alle einen halben Steinwurf (natürlich nur theoretisch, wegen der Verletzungsgefahr) voneinander entfernt. Buchhandlung Eins hatte die komplette Serie, Volltreffer. Moment, nur eben jener erste Band, der fehlte dummerweise. Ein junger Buchhändler, zum Thema befragt, war sofort als eingefleischter Fan der Serie auszumachen, wußte sympathisch mit lobenswertem Detailreichtum zu glänzen. Tja, nur den ersten Band der Reihe – den habe man eben nicht. Wäre aber problemlos bestellbar, kein Thema, mache man gerne – nächste Woche sei der Band dann da. Dumm nur, dass der Herr Meier sich in den Kopf gesetzt hatte, ausgerechnet dieses Wochenende mit der Lektüre zu verbringen.
Freundlich lächelnd wurde also der Rückzug angetreten und Buchhandlung Nummer 2 aufgesucht. Dort mußte man der angetroffenen Buchhändlerin zwischen Regalen voller hoher Literatur, Regionalia und Kinderbüchern erst einmal genauer auseinandersetzen, was man denn wolle. Dass es sich bei der Serie um etwas handele, mit dem der deutsche Buchhandel sich gerade dumm und dämlich an den bald 9 Bänden der Reihe verdiene und nicht umsonst die Bezeichnung „Kult“ trage verschwieg der Herr Meier aus Angst vor zornigen Blicken lieber, und gemeinsam fand man in der Datenbank eines Zwischenbuchhändlers auch das gewünschte Gut. Dummerweise eben nur in der Datenbank, denn Nein, aus der Reihe habe man nichts da, schon gar nicht den gewünschten ersten Band. Man könne aber bestellen.
Nun wurde es dem ungeduldigen Herrn Meier doch zu bunt und er deklamierte mit erhobenem Zeigefinger, dass er sich hier doch langsam dem digitalen Buch zugetrieben fühle, das könne er herunterladen und könne gleich zu lesen anfangen. Nun stellte sich die Buchhändlerin aber als blitzgescheit heraus und verwies darauf, dass sie ihm den benötigten digitalen Lesekasten hier hätte und auch verkaufen könne. Mit dem Hinweis, dass dies Beulen nach Athen tragen wäre, wenn er sich jetzt noch so ein Ding zulege, entschloß sich auch hier der Herr Meier zum taktischen Rückzug.
Tieftraurig stand nun der Herr Meier da. Zwei wunderschöne inhabergeführte Buchhandlungen – aber eben ohne das Objekt der Begierde. Buchhandlung Nummer drei war ein Fillialist, vollgepackt mit Trödel, Klim und Bim – und ein paar Massenware-Büchern. Sozialisationsbedingt mied Herr Meier solche Läden, aber nach kurzem Zögern und einem innerlichen „Aller guter Dinge sind drei!“ trollte er sich dann doch durch die Gänge, vollgestellt mit Gartenzwergen und Grill-Accessoires – um prompt den gesuchten ersten Band der Reihe vorzufinden. Lächelnd zahlte Herr Meier an der supermarktgestylten Kasse, schaute draussen kurz verlegen zu den beiden anderen Buchhandlungen hinüber und schob sich dann gen Hause, um dem Lesespaß zu frönen.

Und wenn sie nicht gestorben sind, wäre dies ein Märchen. Fakt ist aber, dass sich diese Geschichte vor etwa zwei Wochen ereignete. Und was lernen wir daraus?

Who Needs Books?
Foto: Nate Bolt

Die geringe Nachfrage ist schuld – wie bitte?

In der E-Book-Studie 2012 werden einige Gründe für den geringen digitalen Umsatzanteil genannt, an erster Stelle die geringe Nachfrage (86% für 2012). Obiges Beispiel zeigt, dass theoretisch Nachfrage auch erzeugt werden kann – wenn man denn will! Letztendlich heißt im 21. Jahrhundert „sofortige Verfügbarkeit“ wirklich sofort, nicht „am nächsten Werktag“.

Beratungskompetenz hängt nicht am Format

2012 sehen laut Studie immer noch 37% der Buchhändler das E-Book als „Konkurrenz für das gedruckte Buch“ (unwesentlich gefallen von 39% in 2011). „Das kann ja nix werden!“ möchte man verärgert ausrufen. Vor allem aber ist nich erklärbar, warum die als Mantra des Buchhandels heruntergeleierte „Beratungskompetenz“ so formatorientiert ist. Sollte mir ein Buchhändler ein bestimmtes Buch empfehlen, wäre er wohl kaum versucht hinzuzufügen „Das gilt jetzt aber nur für das gedruckte Buch, zu dem total identischen E-Book kann ich leider inhaltlich nichts sagen“. „Sans mots“ würde der Bildungsbürger hinzufügen.

Buchhändler wird zum Hard- und Software-Supporter

Andererseits muss man auch anerkennen, dass der arme Buchhändler um die Ecke langsam in eine Rolle gedrängt wird, in der er sich nie gesehen hat: als Support-Anlaufstelle, wenn es mal mit dem E-Reader oder E-Book klemmt. Man mag sich an die Stirn greifen, wenn sogar Kunden mit ihrem Kindle in der Buchhandlung ihres Vertrauens Hilfe heischend erscheinen – andererseits attestiert dies den Buchhandlungen dann eben doch den Ruf als erste Anlaufstelle, wenn es um „Content“ geht. Also auf der einen Seite mehrere Pfunde, mit denen zu wuchern wäre (Beratungskompetenz, Anlaufstelle ersten Grades) – auf der anderen Seite aber technologische Hilflosigkeit, die sich beim Thema „Zu kompliziertes Handling“ in der Studie immer noch mit 62% niederschlägt. Vielleicht sollten sich Hardware-Anbieter und Verlage einmal überlegen, ob sie den Sortimenter hier nicht doch etwas sehr im Regen stehen lassen?*

E-Book: Zuerst stirbt der Buchhandel, dann vergeht den Verlagen das Lachen?

Eigentlich könnte den Verlagen das alles egal sein. Wenn nicht mit, dann eben ohne den Buchhandel. Immerhin investieren viele Verlage in den Direktvertrieb (was diese beim Thema „Hoppla, Endkundenkontakt!“ vor ganz neue Probleme stellt) respektive richten ihre digitalen Workflows primär auf die großen, gewinnbringenden Plattformen aus.

Mittelfristig würde aber diese „Tschüß, Buchhandel!“-Attitüde dafür sorgen, dass die Verlage es nicht mit einer vielfältigen, diversifizierten Distributionslandschaft zu tun hätten (platt ausgedrückt: kompliziert im Handling, aber kaum dazu in der Lage, übermäßigen Marktdruck auszuüben), sondern mit einem angloamerikanisch-japanischen Oligopol, das da heißt: Amazon, Apple, Kobo/Rakuten und Google.
Was Oligopole anrichten können, läßt sich an vielen marktwirtschaftlichen Beispielen ablesen. Beziehungsweise: man muss eigentlich gar nicht so weit schauen – ist dies nicht genau die Situation, die jetzt schon beim Thema unabhängiger Sortimenter vs. Fillialisten kolportiert wird?

Insofern wird sich im digitalen Markt dieselbe Entwicklung zeigen, sollte der Trend so weitergehen. Und momentan spricht nichts gegen diese pessimistischen Prognosen.

Wer auf der AKEP-Jahrestagung weilt, hat übrigens Gelegenheit, sich von Jana Lippmann (Börsenverein) die Studie detailliert präsentieren zu lassen

* Kleiner Hinweis: im Rahmen der ProtoType-Initiative des Börsenvereins hat sich eine Projektgruppe unter dem Namen M@rtha genau dieser Problematik angenommen: wie kann der Sortimenter (aber auch Verlag) bei dem Thema Support unterstützt werden. Geht doch!

 

 

 

 

 

6 Kommentare

  1. Ist übrigens nicht nur ein Thema des Buchhandels… auch in anderen Branchen erlebt man es, dass man förmlich ins Internet getrieben wird.

  2. Herr Meier kauft ein Buch: man könnte ja auch … das Buch bei der inhabergeführten Buchhandlung bestellen, bei der Kette kaufen, das Buch am Wochenende lesen und das frische Buch aus der inhabergeführten Buchhandlung bei der Kette zurückgeben. Aber das wäre natürlich auch nicht ehrlich und würde dazu führen, dass die Ketten glauben, noch mehr Non-Books verkaufen zu müssen 😉

  3. Zum Märchen will ich gar nichts sagen – es passiert bei uns auch, daß erste Bände von Serien ausgehen. Aber zum Thema Konkurrenz Print-vs-Digital doch ein Wort: Mich wundert es überhaupt nicht, daß Digital als Konkurrenz angesehen wird. Amazon ist ja auch Konkurrenz, Ketten oder Großflächen sind ebenfalls Konkurrenz. Konkurrenz ist das, was dazu beiträgt, den eigenen Umsatz zu schmälern, ohne daß man so richtig was dagegen tun kann. Und so ist es doch beim E-Book, Du hast es selbst beschrieben. Wir haben keine Chance und woran das liegt steht ebenfalls trefflich beschrieben im letzten Absatz. Ich sehe das also nicht nur als nicht vorhandene Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Formaten. Natürlich haben viele Technikvorbehalte, aber das, was uns angeboten wird, befördert diese Technikfeindlichkeit doch geradezu: DRM, vielerlei Plattformen,Reader ohne vorinstallierte Shops, miserable Konditionen der Barsortimente – all das erfordert schon sehr viel Aufgeschlossenheit von uns, mit Freude an dieses Thema zu gehen. Mir vergeht gerade die Lust, mich diesem Thema mit der gebotenen Intensität auseinanderzusetzen gründlich, satt dessen kommt große Resignation auf. Und das will bei mir schon was heißen…

  4. Mir geschah Ähnliches, auch mit einer Kult-Buchreihe, allerdings einer dreiteiligen. Im Besitz von Teil 1 wollte ich Teil 2 und 3 haben, nachdem ich Teil 1 verschlungen hatte – und zwar als Paperback (ich ziehe doch nicht bei den Umsatzmaximierungsstrategien der Verlage mit und zahle 5 Euro Aufpreis für zwei Layer Hart-Pappe). Auskunft im lokalen Buchhandel: Paperback gibt’s nicht auf deutsch (wieso nicht, lieber Verlag, ihr hättet einen Kunden in mir generieren können). Also bitte ich den Buchhändler um die englische Ausgabe (wurde eh mal wieder Zeit, die Englischkenntnisse zu polieren). Die Recherche in den Eingeweiden des Produktmanagementsystems förderte nur eine sehr hochpreisige englische Hardcover-Variante zutage. Bin dann nach Hause und habe bei dem großen Shop bestellt, diesem Dingsbumms – heißt so ähnlich wie diese Kriegerfrauen von früher.

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