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Der E-Book-Markt 2011: Digitale Marktanteile – zwischen Euphorie und Skepsis

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Um Märkte einschätzen zu können benötigen Unternehmen – Zahlen. Gerade im Bereich E-Book ist dies aber gar nicht so einfach: die großen Plattformen publizieren meistens nur Erfolgs-Pressemeldungen, Datenmaterial wird aus den unterschiedlichsten Quellen (die wiederum unterschiedlichen Meßmethoden unterliegen) zusammengestückelt. Deswegen kommt der E-Book-Studie 2012 des Börsenvereins, die am 4.6.2012 präsentiert wurde, nicht nur große Bedeutung zu, sie hat in der brancheninternen Diskussion und Meinungsbildung auch weitreichende Konsequenzen, da sich oft verlegerische Entscheidungen darauf beziehen.
(Foto: Andrew Mason)

Die Studie selbst unterteilt sich dabei in von der GfK erfasste Daten (E-Book-Absätze, Umsatzanteile und Konsumentenbefragung) sowie einer vom Börsenverein selbst durchgeführten Expertenbefragung. Hieraus ergeben sich naturgemäß Interpretationsspielräume respektive Unsicherheiten – die GfK-Zahlen basieren etwa auf dem Verbraucherpanel MediaScope Buch, das keine Schul- und Fachbücher erfasst. Gerade letztere sind aber hochgradig digitalisiert, was sich wiederum aus der Expertenbefragung Verlage ergibt. Eine zukünftige Erfassung von Marktzahlen nach Warengruppen wäre hier zielführender.
(Fußnote: Prinzipiell muss aber ausdrücklich den beteiligten Kollegen im Börsenverein Respekt gezollt werden, wenn man einmal mitbekommt, welcher Aufwand hinter einer solchen Studie steckt).

Die Studie und 1%-Deutungen

Zu den Kern-Ergebnissen der Studie (Daten GfK):

Umsatzanteil E-Book am deutschen Buchmarkt: 1% (Vorjahr: 0,5%)
Umsatz ca. 38 Mio (Vorjahr: ca. 21 Mio)
Durchschnittlicher E-Book-Preis: 8,07 Euro (Vorjahr: 10,40 Euro)
Absatz: 4,7 Mio E-Books (Vorjahr: 2,0 Mio E-Books – nur verkaufte E-Books!)
E-Books pro Leser im Durchschnitt: 6,2 E-Books (Vorjahr 3,8 E-Books – nur verkaufte E-Books!)
E-Book-Käufer: 757.000 (Vorjahr: 540.000)

Am Umsatzanteil scheiden sich nun die (Presse-)Geister – das Börsenblatt spricht vom „Überschreiten der Marktrelevanz„, Welt online von einer „stetig wachsenden Lust aufs digitale Buch“ während ZEIT online das Glas eher halbleer sieht: „E-Book-Verkauf bleibt hinter Erwartungen zurück„. Sebastian Posth setzt sich gerade mit letzterem Beitrag und seiner „Nur 1%!“-Attitüde in seinem Blog „Publishing Hurts“ kritisch auseinander und sieht die Entwicklung positiv: „Erst 49% Prozent der deutschen Verlage haben im vergangenen Jahr E-Books publiziert. 86% der Verlage planen aber den Einstieg in das digitale Geschäft in diesem oder den kommenden Jahren.“

Verlage und der E-Book-Markt

Dabei ist die kolportierte Zahl von 1% nicht wirklich zielführend – schaut man sich die Ergebnisse der Expertenbefragung unter Verlegern genauer an. In dieser kommen dann auch die in den GfK-Zahlen fehlenden Bereiche Schul- und Fachbuch zum Tragen.
Auch wenn die Schätzung der Verlage für 2011 aus 2010 (6,6% am Umsatz) eher optimistisch war, ist die Realität mit 6,2% doch von einer gewissen Treffergenauigkeit gezeichnet. Dies bedeutet (grob und stur nach Milchmädchen) bei einem Branchengesamtumsatz von 9,6 Milliarden Euro in 2011 insgesamt fast 600 Mio Euro. Auch an diesen Zahlen läßt sich vieles an Kritik finden, da in den 9,6 Mrd. auch Fachzeitschriften stecken (in den Verlagszahlen über digitale Umsätze vermutlich aber auch einiges, das nicht vergleichbar mit dem Print-Bereich ist, etwa Datenbanken etc). Wie auch immer – der realistische Gesamtumsatz an E-Books liegt deutlich höher als die GfK-Zahlen (die ja nichts dafür können, da sie nur ein bestimmtes Segment betrachten).

Dieser Umsatz in 2011 verteilt sich auf wissenschaftliche Bücher (36%), Fachbücher (22%) – damit nimmt der im GfK-Panel nicht erfasste E-Book-Anteil schon 58% ein (62%, wenn man Schulbuch mit einbezieht). Belletristik bleibt im auch von der GfK erfassten Bereich der größte Block mit 13%, aber die eigentlichen Gewinner sind hier Sachbücher (von 6% auf 9%) und Ratgeber (von 5% auf 9%).

Würde man jetzt (wieder Milchmädchen) also sagen, die GfK-Zahlen umfassen nur 38% des Gesamtmarkts, käme man auf dieser Grundlage auf einen E-Book-Gesamtumsatz von 100 Mio Euro.

38 Mio, 100 Mio, 600 Mio – die Wahrheit liegt irgendwo da draussen. Und in meinem Taschenrechner. Aber jeder gewiefte Statistiker weiß, dass die eigenen Zahlen primär dem Zweck dienen sollen, Trends auf der Grundlage vergangener Zeiträume darzustellen. Und wohin der Trend im E-Book-Markt zeigt, dürfte klar sein.

Verlage und die digitale Aufrüstung

Zahlen sind Zahlen sind Zahlen und in jeder Statistik finden sich Spitzfindigkeiten, über die sich trefflich streiten läßt. Ebenso wichtig ist eine Umfeldbetrachtung zur besseren Einordnung – auf gut deutsch: schauen, was die lieben Kollegen in den Verlagen so treiben. Und hier sieht man ganz klar massive Anstrengungen, die technischen Workflows und auch internen Systeme (Umsatzverbuchungen, Honorierung) dem E-Book anzupassen.

Dies zeigt auch die Anzahl der Verlage, die 2011 überhaupt E-Books angeboten haben, diese ist von 35% in 2010 auf 49% gestiegen. Wobei primär die größeren Verlage (mehr als 51 Mitarbeiter) investieren, hier sind es schon 81%.
Zumindest auf Seiten der Verlage scheint der Damm der digitalen Zurückhaltung damit endgültig gebrochen.

Verlage und der E-Book-Markt 2015

Auf der Pressekonferenz gab es Raunen bei der Zahl 17%. So hoch schätzen Verlage den Umsatzanteil durch E-Books ein. Und zwar nicht am Sankt-Nimmerleinstag, sondern schon in 2015. Dahinter verbirgt sich aber keine Hype-Euphorie, sondern kühles Kalkül. Zum einen gehen Verlage eben nicht von den berühmten 1%, sondern von 6,2% Marktanteil in 2011 aus. Dann wollen vor allem die größeren Verlage massiv investieren – diese Verlage haben auch das größte Angebotsspektrum, das heißt, allein die schiere Anzahl an E-Books wird massiv steigen. Zudem sprechen viele Signale auch auf Kosumentenseite für eine Ausweitung, etwa die höhere Verbreitung der Endgeräte (immer daran denken: der E-Book-Markt ist ein Hardware-Markt!). Und die digitalen Nutzer werden älter und weiblicher – salopp ausgedrückt, die klassische Lese-Kernklientel wird immer mehr zur digitalen (viellesenden!) Lese-Zielgruppe.

Kali, Avatar of the eBook

Foto: Javier Candeira

 

Substitut oder neuer Markt?

Entscheidend ist ja letzten Endes die Frage, ob sich die Branche damit neue Märkte erschließt oder sich selbst kannibalisiert. Die FAZ meint hierzu: „Dabei zeigte sich, dass das elektronische Buch kaum neue Leser generiert, sondern dass ausgerechnet Vielleser vom Buch zum Lesegerät wechseln.“
Der Anteil derer, die ausschließlich Print-Bücher kaufen wollen, ist zwar von 52% (2011) auf 45% (2012) gesunken, zwischen beiden Polen finden sich aber kumuliert 30% (2011 und 2012), die eher ein gedrucktes Buch denn ein E-Book kaufen würden, und ein von 7% (2011) auf 11% (2012) gestiegener Anteil derer, die beides kaufen würden. Ein Gutteil derer, die aus der Print-Fankurve ausgestiegen sind, würden also beides kaufen – eine Chance für Verlage, die sich gerade überlegen, Hybridprodukte anzubieten, also Print- und digitales Buch als Einheit.
Schlussendlich bleibt auch die Frage, ob Verlage sich über ein Format und Endgerät definieren – und ein gedrucktes Buch ist ja nichts anderes. Oder doch eben als Inhalteanbieter sehen, die diese Inhalte in der Form anbieten möchte, in der sie der Kunde eigentlich erwartet.

DRM & Datenformate

Die schlechte Nachricht: immer mehr Verlage setzen auf DRM-Maßnahmen. Das mag auch daran liegen, dass hier versucht wird, einen prosperierenden Markt vor Piraterie zu schützen. Konkret stieg die Anzahl der Verlage, die solche Maßnahmen einsetzen, von 55% (2011) auf 61% (2012).
Die gute Nachricht: hartes DRM ging von 63% auf 50% zurück, weiches / soziales DRM stieg hingegen von 41% auf 64% (es waren Mehrfachnennungen möglich). Damit wird ein Schritt in Richtung Kunden-Convenience gemacht, der den Markt mit Sicherheit ausweiten wird. Je einfacher das Handling, desto größer der Nutzungsumfang (resp. Kauf). Eigentlich eine Binsenweisheit.

Beim Thema Datenformate (das vor allem für Inhalteanbieter im Kontext eines Hardwaremarktes entscheidend ist) setzt sich zunehmend das offene ePub durch (85% der Verlage bescheinigt diesem Format die größten Chancen). Dem guten alten PDF geben gerade einmal noch 2% eine Zukunftsberechtigung. In Folge stellt dies für Verlage temporär eine deutlich größere technische Herausforderung dar, ist aber auch eine Gewährleistung, dass eine möglichst große Zahl von Endgeräten bespielt werden kann.

Allerdings muss den Kollegen aus den Verlagen auch ins Stammbuch geschrieben werden, dass die Zahl von 25%, die die weitere technische Entwicklung in Sachen Formaten nicht beurteilen können, resp. 46%, die weiter an eine Vielzahl unterschiedlicher Formate glauben, eigentlich ein Armutszeugnis ist. Im digitalen Markt haben Verlage mit Sicherheit wenige Hebel – aber den über die Festlegung der E-Book-Formate mit Sicherheit. Hier wären mehr Bemühungen in Sachen Standardisierung, Unterstützung von Initiativen wie Readium absolut sinnvoll.

Und wo bleibt der Buchhandel?

Man mag mit den E-Book-Marktanteilen zufrieden, euphorisch oder skeptisch umgehen. Der Trend ist aber erkennbar, auf absehbare Zeit mit deutlichen Wachstumsraten gekennzeichnet – und alle könnten zufrieden sein. Allerdings versteckt sich hinter den Zahlen zum Buchhandel doch einiges an Sprengkraft.

Der Buchhandel rechnet 2011 wie 2012 unverändert mit einem Rückgang von 16% im „klassischen Sortiment“ (=Papier) im Jahr 2015 (interessant die fast deckungsleiche Zahl von 17% E-Book-Anteil, die Verlage im Jahr 2015 sehen). Klingt dramatisch, ist dramatisch. Bleibt die Frage nach der Kompensation.

Und diese sehen Buchhändler kaum im digitalen Geschäft. Während 2011 noch mit einem Umsatzanteil von 9,2% an digitalen Umsätzen gerechnet wurde, sind es 2012 noch 3,5% – im Jahr 2015. Und dies bei einer steigenden Zahl von Buchhändlern, die sich eine Einschätzung der Lage zutrauen.

Eine Suche nach den Ursachen mag aber einem anderen Blogpost vorbehalten sein.

Die Studie auf Slideshare:
http://www.slideshare.net/boersenverein/ebookstudie-2012-presseversion

Wer auf der AKEP-Jahrestagung weilt, hat übrigens Gelegenheit, sich von Jana Lippmann (Börsenverein) die Studie detailliert präsentieren zu lassen

5 Kommentare

  1. Petra van Cronenburg 11. Juni 2012 um 11:13 Antworten

    Feiner Artikel, der das Thema endlich einmal vielschichtig beleuchtet!Bei diesem Satz kommt mir ein Gedanke: „Und die digitalen Nutzer werden älter und weiblicher – salopp ausgedrückt, die klassische Lese-Kernklientel wird immer mehr zur digitalen (viellesenden!) Lese-Zielgruppe.“Wenn im Moment NICHT die Kernklientel liest (und recht tüchtig liest), was hat man vorher bei Papierbüchern falsch gemacht, diese neue Klientel nicht zu bedienen? Wartet da draußen womöglich viel mehr Kundschaft auf Bücher, als wir bisher glaubten? Haben wir Zielgruppen zu eng eingegrenzt?

  2. Guter Rundumschlag – aber die Kritik an den 25 % / 46 % die sich nicht für den Mittelpunkt der Welt halten teile ich nicht. Dass die Verlage den Hebel in der Hand haben, wenn es um die Festlegung der eBook Formate geht, halte ich für ein gefährliches Gerücht.

  3. Hallo Hugo, da gebe ich Dir 100% recht! Ich selbst vertreibe ein Ebook/Hörbuch im Netz (Sex mit Handicap bei amazon) und spüre den langen Hebel der Verlage nicht, sondern sehe im Netz eine große chance für unkonventionelle und neue Literatur.Anja Baffour

  4. Pingback: E-Book Marktstudie Börsenverein: Deutscher E-Book-Markt knapp vor 10% (Analyse) | akeplog

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