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Die Diskussion um die „Buchindustrie“ – oder der Bauer und seine Kuh Gertrude

Cow

Gestern schrieb Kilian Kissling / Argon Verlag einen Beitrag unter dem Titel: „Wir sind keine Verwerter und erst recht keine Industrie!“ einen von Begrifflichkeit der Branche bis hin zum Urheberrecht weit gespannten Blog-Beitrag.
http://www.argon-verlag.de/2012/04/keine-verwerter-industrie-urheberrecht-ver…

Dabei ging es eben auch um den Sprachduktus:
„Mich wundert nicht erst seit gestern, dass sich kaum jemand in unserer Branche, zumal diese ja nun sehr sprachbewusst ist, an den Begrifflichkeiten stört, mit denen die Urheberrechtsdebatte in den vergangenen Jahren geführt wird. Wahlweise ist da von Contentindustrie, Buchindustrie, Verwertern oder gerne auch Verwertungsindustrie die Rede, wenn es um unsere Verlagsbranche geht. Vor allem der Begriff Industrie wird immer wieder gern genommen.“

Wie immer ein Blick auf Wikipedia:
„Die Industrie (lat. industria: Betriebsamkeit, Fleiß) bezeichnet den Teil der Wirtschaft, der gekennzeichnet ist durch die Produktion und Weiterverarbeitung von materiellen Gütern oder Waren in Fabriken und Anlagen, verbunden mit einem hohen Grad an Mechanisierung und Automatisierung – im Gegensatz zur handwerklichen Produktionsform.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Industrie

Hier wird also eine Grenze gezogen zwischen Massenfertigung und der liebevollen Handwerkerkunst – und natürlich fühlt sich der Verleger dem letzteren geneigter – und gehört da ja auch hin, jedenfalls laut Kilian Kissling.

Das erinnert mich ein wenig an die Landwirtschaft. Vor kurzem war ein Werbespot über ein Milchprodukt im Fernsehen zu sehen: ein Bauer, der über die saftigen Wiesen seiner Alm schreitet, eine adrette junge Bäuerin mit Kopftuch (die im realen Leben vermutlich eher mit den Marken Gucci und Prada vertraut ist), die liebevoll eine Kuh streichelt (ich nenne sie mal Gertrude) und ihr beherzt ans Euter greift. Leichter Weichzeichner dazu, und fertig ist etwas, das nichts anderes als eine heimelige Camouflage einer – Agrarindustrie ist. Natürlich gibt es auch in der Landwirtschaft viele kleine Familienbetriebe (und ähnlich wie in der Verlagsbranche werden diese von großen Agrarbetrieben immer mehr in die Ecke gedrückt), keine Frage. Aber alle haben ihre Produkte, den Kunden und den Markt im Auge.

Insofern geht es mir nicht darum, den Begriff „Buchindustrie“ zu verteidigen. Auch wenn viele unserer Produktionsprozesse inzwischen hochgradig automatisiert sind, vorbei die Zeiten des liebevollen Papierschöpfens, Bleisatz und Gautschen.

Aber vielleicht geht jemand, der den Begriff „Buchindustrie“ verwendet, ehrlicher mit der Tatsache um, dass eben der allergrößte Teil der Verlage Unternehmen sind, die am Markt agieren. Dass wir heute eher über Flächen statt des biedermeierschen Bildes eines Buchhändlers reden. Dass wir Multi-Channel und Non-Books im Munde führen. Dass wir Sinus-Milieus statt verlegerischem Bauch verwenden. Dass wir semantische Methoden, Prozessorenintelligenz und Automatismen zur Erschließung unserer geheiligten Inhalte einsetzen (ich traue mich hier schon gar nicht, den Begriff „Content“ zu verwenden). Das ließe sich beliebig fortsetzen.

Der größte Teil der Verleger trägt kein Kopftuch und fasst Getrude beherzt ans Euter. Der größte Teil der Verleger macht für Zielgruppen und Märkte Produkte, die sich verkaufen sollen. Alles andere ist die Zwischenschaltung eines romantischen Weichzeichners, der uns vom Sprachduktus her wieder in die kuschelige Komfortzone führt.

Kurz gesagt: Nennt es, wie ihr wollt – aber versteckt euch nicht dahinter!

Foto:
Flickr
http://www.flickr.com/ photos/publicenergy/1846375599/
Fotograf: publicenergy
http://www.flickr.com/ photos/publicenergy/

 

3 Kommentare

  1. Sehr schöner Vergleich, der mit dem Euter. Nur eine Einschränkung vielleicht: „der größte Teil“ der Verleger trägt eben doch Kopftuch und macht sonst allerlei. Immerhin haben wir statistische ich weiß nicht 14.000 Verlage, steuerpflichtige 2.800 und immer noch jahresbeitragszahlende 1.700. Wenn man die Liste der 100 größten Verlage anschaut, dann ist man bei Platz 100 schon bei einer Betriebsgröße von 20 Mitarbeitern (Köpfe, nicht Vollzeitstellen). Und ich schätze mal, dass wir bei Platz 200 unter 10 sind und bei Platz 300 schon „Der Fischer und seine Frau“ spielen können. Ob also die Ein-Mann/Frau-Verlage tatsächlich unter die Industrie zu rechnen sind? Da Industria „der Fleiß“ heißt, mag man ihnen das sicher nicht absprechen, ohne Fleiß ist ein Ein-Personen-Verlag unmöglich, lebensfähig ist er auch nur wenn sich Fleiß mit Verzicht paart.Wir leben eben in einer Branche, die zu 90% aus Idealismus besteht, der aber immerhin für 35% des Umsatzes verantwortlich ist und dessen Beitrag zur Kulturellen Vielfalt vermutlich die 90% sogar übersteigt. Wir übrigen 10%, die wir 65% des Umsatzes machen und beim Stichwort kulturelle Vielfalt realistischerweise Sinusmilieus und Mediacontrol-Daten als Entschuldigung vorbringen, wir sind sicher für die wirtschaftliche, technische, strategische, personelle, politische, rechtliche Entwicklung unserer Branche entscheidend und treibend. Aber der größte Teil sind wir nicht, wir sind nur die größten, kleingeschrieben.

  2. Tja, Herr Ulmer,ich bin Einzelunternehmer, Kleinverleger und kenne alle meine Kühe mit Namen. Fast alle von ihnen duze ich, ans Euter greife ich aber keiner. Das passiert eher umgekehrt, wenn sie mich wegen der Tantiemen melken …Ich produziere eBooks, ich sehe meine Titel ganz klar als (Unterhaltungs-)Produkte, die sich in einem durch starke Konkurrenz bestimmten Umfeld behaupten müssen. Bei mir setze ich etwa 80% Idealismus ein. Die Miete zahlen aber die 20% kaufmännisches Denken und marktwirtschaftliches Handeln.Bücher aus Idealismus herauszugeben kann sich nur jemand leisten, der sein Geld anderweitig verdient. Ich halte mir meine Kühe nicht im Stall wegen ihrer schönen großen blauen Augen …

  3. Lieber Herr Knip, ich klär das lieber, bevor wir uns gegenseitig an den Haaren ziehen: 90% sind Kleinstbetriebe. Das heißt aber noch lange nicht, dass die alle unprofessionell arbeiten. Genau so wenig wie es umgekehrt sichergestellt ist, dass die 10% großen alle professionell arbeiten.Hier ging es ja nur um die Frage, ob die große Mehrheit der Verlage sich mit dem Begriff der Industrie identifiziert, ob sie sich als Industriebetrieb verstehen, oder ob das ihnen nicht sehr schräg vorkommt.Und damit ist dann ja auch die Frage gerechtfertigt, ob jemand, der diese Verlage als Industriebetriebe bezeichnet, keine Ahnung hat, wie es in denen aussieht, oder ob er sie mit den Begriff nur in eine Ecke stellen will, um so die Mär der Ausbeutung – hie Großindustrieller da Armer Poet – plastischer Darstellen zu können.

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